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Architekten.
den Tempel schon in der Anlage des Chersiphron als Dipteros. Sollte danach
nicht etwa Strabo, der den älteren Tempel nur flüchtig berührt und den Nach-
folger des Chersiphron nicht einmal dem Namen nach kennen zu lernen sich
die Mühe gegeben hat, irrthümlich von einer Vergrösserung gesprochen haben,
wo es sich nur um Weiterführung oder Vollendung des Baues handelte? Frei-
lich nennt Herodot den Tempel zu Samos den grössten unter allen ihm be-
kannten; allein an einer andern Stelle (II, 14-8) setzt er wenigstens den ephesi-
schen diesem als ebenbürtig an die Seite; und so meinte er vielleicht bei jener-
Beziehung; des samischen nur den grössten damals vollendeten; denn wir wissen
keineswegs gewiss, dass, als Herodot in Kleinasien sich aufhielt, der ephesische
schon völlig ausgebaut war. Indessen würde ich diesen Bedenken gegen die
Ansicht von Urlichs vielleicht keine zu hohe Bedeutung beilegen, wenn mir
nicht innere Gründe gegen die von ihm angenommene Veränderung eines Pe-
ripteros in einen Dipteros zu sprechen schienen. Ich will es weniger betonen,
wie bei der besonderen Art, in welcher die Fundamente des Tempels herge-
richtet waren, eine Erweiterung, ein Anflicken rings herum an dieselben mit
ganz besonderen Schwierigkeiten verbunden gewesen sein würde. Dagegen
glaube ich um so mehr auf die strenge Gesetzmässigkeit der griechischen Archi-
tektur hinweisen zu müssen, zufolge welcher jeder einzelne Theil durch sein
Verhältniss zum Ganzen bestimmt wurde. Sollte nun da durch blosse Hinzu-
fügung einer Säulenstellung ein Peripteros in einen Dipteros haben verwandelt
werden können, ohne dass dadurch das Verhältniss aller Theile, namentlich in
der Haupt, d. h. in der Vorderansicht gründlich verrückt, die Schönheit der
ursprünglichen Anlage gänzlich vernichtet worden wäre? Mir würde deshalb
die Nachricht von einer Vergrösserung des Tempels nur dann unbedenklich er--
scheinen, wenn sie sich von einer Erweiterung in der Länge deuten liesse, in-
dem deren Verhältniss zur Breite keineswegs ein fest bestimmtes ist, sondern
etwa zwischen 1 : 1,7 und 1:2,8 schwankt. Da es jedoch beim ephesischen
Tempel nur 1 z 1,88 beträgt, so kann es auch bei der ursprünglichen Anlage
kaum ein anderes gewesen sein. So bliebe als letzte Austlucht nur etwa die
Annahme übrig, dass Chersiphron erst die Cella erbaut und die Säulen an der
vorderen Seite des Tempels errichtet hätte. XVenn nun der Weiterbau erst durch
das Geschenk des Krösus möglich wurde, so konnte man wohl von dem Archi-
tekten, welcher diesen Weiterbau, wenn auch nach dem ursprünglichen Plane
leitete, mit einem nicht streng richtigen Ausdrucke einmal sagen, er habe den
Tempel grösser gemacht.
Die voranstehenden Erörterungen können, wie gesagt, nicht den Anspruch
machen, eine schwierige Frage zu einer endgültigen Entscheidung gebracht
zu haben. Doch werden sie die Annahme, dass der Grundplan des Chersiphron
bei allen späteren Ausführungen und Wiederberstellungen unverändert beibe-
halten worden sei, wenigstens als möglich und sogar ziemlich wahrscheinlich
erscheinen lassen. Was Vitruv Il, 9, 18 und Plinius 16, 213 über das Gebälk;
aus Gedern und die Thüren aus Cypressenholz bemerken, kann sich natürlich
nur auf die Wiederherstellung nach dem Brande beziehen.
Um schliesslich noch einmal auf die Architekten des älteren Baues zurück-
zukommen, so bemerkt Vitruv VII, praef. 12, dass Ghersiphron und Metagenes