Volltext: Die Maler. Die Architekten. Die Toreuten. Die Münzstempelschneider. Die Gemmenschneider. Die Vasenmaler (Bd. 2)

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Nlaler 
Blick für das Psychologische geschärft, und es war dadurch möglich geworden, 
auch die flüchtigsten und vorübergehendsten Stimmungen im Kunstwerke fest- 
zuhalten. Es erschloss sich dadurch in der Darstellung des Gefühls- und Seelen- 
lebens ein neues und weites Gebiet; und unter der Hand des Aristides schien 
die Kunst sogar wieder zu grosser Innerlichkeit und Tiefe zurückkehren zu 
wollen. Allein das Wesen seiner Persönlichkeit liess sich nicht nach Belieben 
auf Andere übertragen, und die Zeit drängte im Gegentheil zu einem mehr 
sinnlich fassbaren Ausdruck menschlicher Kraft und Leidenschaft. So schlägt 
die Richtung des Aristides plötzlich in den Realismus des Euphranor um, der 
sofort einen weit verbreiteten Einfluss gewinnt. Dies geschieht zunächst inner- 
halb der Schule, wo uns die Leistungen des Nikias nur die weitere und he- 
wusstere Entwickelung der von Euphranor zuerst befolgten Grundsätze zeigen; 
aber auch in den Werken des Antiphilos, des Theon lässt sich ein ähnlicher 
Geist nicht verkennen. Denn den effectvollen Compostionen des Letzteren lag 
offenbar keine andere Absicht zu Grunde, als die, auf diesem Wege die durch 
die Kunst darzustellende Handlung in so lebendiger Schilderung dem Be- 
274 schauer vorzutühren, dass eine gewaltige oder erschreckende Wirklichkeit aus 
unmittelbarer Nähe auf ihn selbst einzustürmen, gewisserrnassen ihn selbst 
niederwerfen zu wollen schien. Bei Antiphilos dagegen, dessen Hesione und 
Hippolytos seine Verwandtschaft mit dem zuletzt genannten in dieser Beziehung 
hinlänglich bezeugen, gewinnt der Realismus eine noch weit grössere Aus- 
dehnung, indem er sich selbst in der Wahl von Darstellungen, wie der Wolle- 
bereitung, geltend macht. Nehmen wir dazu sein Bild des Feuer anblasenden 
Knaben, so lässt sich nicht verkennen, dass, wenn auch das Verdienst seiner 
eigenen Werke noch mehr in der Auffassung des Ganzen, als in der Durch- 
führung des Einzelnen liegen mochte, seine Bestrebungen doch in ihrer weiteren 
Fortbildung zu reinem Naturalismus führen mussten: und ein solcher reiner 
Naturalismus tritt uns denn in der Rhopographie wirklich entgegen, welche auf 
den Adel oder den geistigen Gehalt des darzustellenden Stoffes ganz verzichtet 
 und ihr Verdienst lediglich in der täuschendsten Nachbildung der Wirklichkeit 
bis ins Einzelnste sucht. S0 gewinnt die Persönlichkeit des Antiphilos für uns 
eine erhöhte Bedeutung, indem sie uns lehrt, wie scheinbar so weit von ein- 
ander abliegende Bestrebungen auf dem Gebiete der Kunst doch aus einer und 
derselben Grundrichtung des Geistes hervorgehen können und wirklich hervor- 
gegangen sind. 
Neben dieser Entwickelungsreihe haben wir jedoch noch eine andere kennen 
gelernt, welche zu der bisher betrachteten unleugbar in einem bestimmten Gegen- 
satz steht: ich meine diejenige, als deren höchste Leistungen die Werke des 
Apelles und Protogenes anzusehen sind. Zwar sagt Petronius (c. 84), er habe 
die Studien des Protogenes nicht ohne einen gewissen geheimen Schauer wegen 
ihrer mit der Wirklichkeit wetteifernden- Naturtreue betrachten können; und 
somit lässt sich ein eifriges und sorgfältiges Naturstudium auch bei ihm als 
die Grundlage seiner Kunstübung nicht verkennen. Dagegen verleugnet sich 
bei ihm wie bei Apelles jener Realismus in der geistigen Auffassung der dar- 
zustellenden Gegenstände durchaus. Schon die Portraits dieser Meister lehren 
dies augenscheinlich: sie sollen nicht eine wirkliche Person einfach vergegen-
	        
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