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Maler.
geringen Antheil; und wo sich der Künstler ihr zuwendet, da ist es nicht poetisch-
religiöse Begeisterung, Welche ihn leitet, sondern die Rücksicht auf rein künst-
lerische Gesichtspunkte. Mag seiner Aphrodite das Bild einer Sterblichen zu
Grunde liegen oder nicht, immer beruhte der Ruhm dieses Bildes nicht auf dem
Ausdrucke göttlicher Erhabenheit, sondern auf dem höchsten, wenn auch zartesten
Reize körperlicher Schönheit. Der Glaube an die Persönlichkeit der Götter war
bereits wankend geworden. Man fing an, diese poetisch-einheitlich abgeschlossenen
und abgerundeten Gestaltungen nach Begriffen oder den Attributen ihrer Macht
zu zerspalten; und wenn man auch die daraus hervorgehenden Abstractionen
wiederum mit einem Körper zu bekleiden bestrebt war, so können doch solche
Personificationen durch die Art, wie sie durch äussere Zeichen ihre Bedeutung
zu erkennen geben sollen, die reflectirende Thätigkeit des Geistes als den Quell
ihrer Entstehung nicht verleugnen. S0 malt Apelles Zeus, den Donnerer, nicht
217 in eigener Person, sondern den Donner, das Leuchten, das Schleudern des
Blitzes; nicht den Kriegsgott, sondern den Krieg. WVaren demnach dem
Künstler die Götter nicht sowohl lebendige Persönlichkeiten, als personificirte
Kräfte der Natur oder Mächte der ewigen Weltordnung, so begreifen wir,
dass er nun auch einen König, welcher sich die Welt unterworfen hatte,
welcher ihre Geschicke nach seinem WVillen lenkte, geradezu als einen Gott,
als Zeus, hinstellen konnte; so wie in dem Bilde des Alexander mit den Dios-
kuren der Gedanke einer Vergleichung mit Helios gewiss nahe liegt. Durch
das sich darin offenbarende Streben, die Grösse des Weltbesiegers nicht durch
die concrete Darstellung seiner Thaten, sondern durch abstracte Andeutungen
seiner Erfolge darzustellen, müssen wir nothwendig zu der Ansicht geleitet
werden, dass seine künstlerische Phantasie durchaus von der Reflexion be-
herrscht und geleitet ward. Ja wir können noch weiter gehen und geradezu
behaupten, dass das Vorwalten der Auffassung nach Begriffen den Apelles über-
haupt nicht dazu gelangen liess, eigentliche Handlungen darzustellen, in denen
die Entwickelung einer Begebenheit in einem scharf abgegrenzten Momente
durch die nur auf diesen gerichtete Thätigkeitjeder einzelnen dabei betheiligten
Person zur Anschauung käme. Die Mehrzahl seiner meist auf ein, zwei, höch-
Istens drei Figuren beschränkten portraitartigen Darstellungen schliesst eine
Handlung in diesem Sinne sogar fast mit Nothwendigkeit aus. Wie unter-
geordnet dieselbe aber z. B. auch in dem tigurenreicheren Bilde der Verleum-
dung ist, ward bereits oben angedeutet. Darum möchte ich auch das Bild der
Artemis unter dem Chor opfernder Jungfrauen nicht auf das Opfer der Iphigenie
beziehen. Denn in dieser Scene müsste nothwendig der Schwerpunkt des Ganzen
in die Abstufung verschiedener Affecte, oder in das Zusammenfassen zu einem
spannenden, dramatischen Momente gelegt werden, wie wir ihn eben sonst in
den Werken des Apelles nie finden. Bei einem Opfer ohne bestimmte mytho-
logische Beziehung dagegen genügte es, dass der Künstler Artemis als diegött-
liche Jungfrau auffasste und sie als solche gerade durch ihre Umgebung er-
scheinen" liess, bei deren Darstellung es ihm gestattet war, den rein künst-
lerischen Gesichtspunkten einer anmuthigen Gestaltung im Gegensatz zu dem
21g poetischen oder ideellen Gehalt in hervorragender Weise Rechnung zu tragen.
Eben so wenig können wir bei dem Festaufzug des Megabyzos von einer eigent-