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lrIaler.
Die
Die Eigenschaft dagegen, Welche Euphranor seinem Theseus beilegt,
schliesst keineswegs eine Hinweisung auf einen ähnlichen ideellen Gehalt ein,
sondern deutet auf die materielle Kraft, welche sich schon in der äussern Er-
scheinung aussprach. Nehmen wir also den sinnlichen Eindruck, welchen das
Auge erhält, zum Maassstab unseres Urtheils, so musste allerdings der mit
Fleisch genährte Theseus des Euphranor gewaltiger und imposanter erscheinen,
als der seines Vorgängers Parrhasios; und hierauf werden wir daher die „Wi.irde
der Heroen", dignitatis heroum, welche sich nach Plinius zuerst in den Werken
des Euphranor ausgedrückt fand, beziehen müssen. Wir pflegen freilich dig-
nitas in der Regel als ein würdevolles, gemessenes Auftreten, als einem dem
190 decor verwandten Begriff aufzufassen 1). Wenn aber Cicero 2) die krotoniztti-
schen Knaben in der Paläistra magna praeditos dignitate nennt und sagt, dass
sich dieselben corporis viribus et dignitatibus auszeichneten, so leuchtet ein,
dass durch dignitas auch das bezeichnet werden kann, was durch die äussere
Erscheinung Achtung" einflösst, das männlich Kräftige des ganzen persönlichen
Auftretens, welches natürlich bei dem Geschlechte der Heroen eine Steigerung
über das Maas des Menschlichen hinaus erfahren muss, bei den Göttern sich
zur Majestät erhebt. Jetzt werden wir uns auch an die Erzählung; von dem
Misslingen des Zeus in dem Gemälde der zwölf Götter erinnern dürfen. Nach-
dem das Icleal des Zeus schon längst und in einer Weise festgestellt war, dass
es an geistiger Bedeutung das des Poseidon so weit überragte, wie in dem
Glauben der Griechen der eine Gott den andern, müssten wir eine innere Un-
wahrscheinlichkeit darin erkennen, dass es dem Euphranor nicht gelungen sein
sollte, in seinem Werke dieses bereits feststehende Verhältniss zu bewahren,
sofern es sich eben nicht um die Lösung eines durchaus neuen Problems han-
delte. Dies ist aber der Fall, sofern wir annehmen, dass es dem Künstler nicht
vorzugsweise um eine Steigerung des geistigen Ausdrucks, sondern des Aus-
drucks körperlicher Kraft und Gewalt zu thun war. Hier lag es allerdings nahe,
den Poseidon, welcher von seiner elementaren Natur in Mythus und Kunst weit
mehr bewahrt hatte, als sein mehr vergeistigter Bruder, mit einer solchen Fülle
körperlicher Majestät (excellentissimis maiestatis coloribus) zu bekleiden, dass
es dem Künstler, wenn er eben nicht i1n Gebiete des Geistigen das Gegengewicht
suchen wollte, schwer werden mochte, sich in der eingeschlagenen Richtung
' noch zu überbieten.
Wir betrachten also Euphranor als den Begründer einer Wesentlich neuen
Kunstrichtung, auf welche die Prädicate der Grossartigkeit und Würde (izeya-
Äorsxvov uai däwvyanxöv) in bestimmter Beschränkung auf die Auffassung; der
körperlichen Erscheinung eben so angewendet werden dürfen, wie sie der Kunst
des Phidias im höheren idealeren Sinne beigelegt werden. Und so konnte Varro 3)
191 dem Kleinkünstler Kallikles gegenüber den Euphranor sehr wohl als Repräsen-
tanten der Erhabenheit (altitudo) hinstellen. Freilich sind die Zeugnisse, auf
Welchen unsere Darlegung beruht, gering an Zahl, und nach ihrer Fassung
kann ihre Deutung manchen Zweifeln ausgesetzt erscheinen". Darum werden wir
bei
1) vgl. z.
Charisius p.
B. Cic.
72 ed.
de off. 1, 36.
Lindemann.
de
invent.
fragm.
226
Bipont.