Die Maler vom Eride des peloponn.
Krieges bis zum Tode Alexanders d.
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Schlaf der Ariadne, in Welchem man das Athmen zu vernehmen glaubt, der 179
ohne Rast vorwärts strebende Blick des Theseus sind Züge, welche der Eigen-
thümlichkeit des Künstlers wohl angemessen wären. Aber dieser Vermuthung
iehlt jetzt die Sicherheit der Grundlage um so mehr, als es nicht mehr als aus-
gemacht gelten kann, dass in dem berühmten Bilde des Dionysos von Aristides
auch Ariadne dargestellt war, wie man nach der früher bei Plinius aufgenom-
menen Lesart freilich glauben musste.
Indessen werden auch die bisher angeführten Belege hinreichen, nicht nur
die Bestätigung des von Plinius uns aufbewahrten Urtheils im Allgemeinen zu
gewähren, sondern auch das Verständniss derselben noch schärfer zu begrenzen.
Denn fassen wir die Aeusserungen des Gemüths- und Gefühlslebens, wie sie
in den Werken des Aristides mit Vorliebe ausgeprägt sind, näher ins Auge, so
Werden wir anerkennen müssen; dass bei ihrer Darstellung ein weit grösseres
Gewicht auf den Ausdruck, als auf die Handlung zu legen ist. Zwar wird von
Aristides auch ein berühmtes Schlachtbild angeführt; aber wenn auch in diesem
die Darstellung der Handlung nicht als etwas Untergeordnetes betrachtet werden
kann, so leuchtet doch auf der andern Seite ein, welches weite Feld gerade
hierbei für den pathetischen Ausdruck sich öffnete. Am meisten charakteristisch
für den Künstler sind doch aber immer Werke, wie der Betende, der Kranke,
die sterbende Mutter, also Stoffe, in denen die Situation nach ihren Haupt-
motiven durchaus einfach ist. Wenn wir nun ferner in Betracht ziehen, dass
mit einziger Ausnahme der wenigen Worte über Härte in den Farben Plinius
über alle a-ndern Seiten der technisch-künstlerischen Behandlung keine Bemer-
kung macht, so können wir auch daraus folgern, dass die Bedeutung des Aus-
drucks Alles, was wir unter künstlerischem Machwerk verstehen, weit überwog,
ja dass derselbe von letzterem in gewissem Sinne unabhängig sein musste.
Und in der That beruht die Darstellung solchen Ausdrucks nicht so nothwendig
auf technischer Meisterschaft, als auf einem sympathetischen Gefühl, auf einer
Seelenstimmung, welche den darzustellenden Ausdruck nachzuempfinden
versteht. Die Wahrheit dieser Behauptung hat sich wohl nirgends so augen-
fällig bewährt, als an einem Künstler der christlichen Zeit, an Beato Angelico
da Fiesole: die Mittel seiner Darstellung, wenn wir sie mit denen der voll- 180
endeten Kunst zur Zeit des Raphael vergleichen, sind beschränkt und mangel-
haft; und doch ist ihm in der Schilderung der zartesten Seelenstimmungen,
freilich nur innerhalb eines festbegrenzton Kreises, keiner gleich gekommen.
Den Vergleich zwischen Aristides und Fiesole im Einzelnen durchzuführen hin-
dert nun allerdings eben diese Beschränkung des Letzteren auf das eine Ge-
biet milder Seelengüte und Frömmigkeit, während sich bei Aristides der Aus-
druck von der leisesten sinnlichen Erregung bis zum leidenschaftlichsten Affecte
steigert. XVenn wir aber auch nur annehmen dürfen, dass bei Aristides eine
ähnliche Beziehung der innersten Seelenstimmung zu den Objecten seines künst-
lerischen Schaffens, so wie eine ähnliche Unmittelbarkeit bei der Uebertragung
der ersteren auf die letzteren obgewaltet habe, wie bei Fiesole, von dem man
erzählt, er habe nie gemalt, ohne vorher zu beten, und "nie seine Malereien nach-
gebessert, weil er glaubte, ihr Gelingen beruhe auf unmittelbarer Eingebung;
so genügt schon diese Aehnlichkeit, um den Aristides einem ihm scheinbar