Volltext: Die Bildhauer (Bd. 1)

issere 
Ausbreitung und Streben nach freier Plntwicvkelung, 
von O1. 
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Onatas, Ageladas. Aber leider vergeblich sehen wir uns nach einer Charak- 
teristik ihres Wesens, nach einer Entwickelungsgeschichte ihrer Kunst um. 
„Non constat sibi in hac parte Graecorum diligentia" klagt Plinius bei den An- 
fängen der Malerei; wir beklagen dasselbe hier bei der Geschichte der älteren 
Sculptur. Namen von Künstlern, Anführungen von Werken, Stoff zu chrono- 
logischen Erörterungen finden wir in hinlänglicher Fülle, nirgends aber die 
feinen Winke, die oft in einem Worte uns Aufschluss über das innere, tiefere 
iVesen eines Künstlers gewähren, Winke, wie wir sie in der Folge vielfältig, 
ich darf wohl sagen, zu bewundern Gelegenheit haben werden. Sollen hier in 
dieser frühen Zeit unsere iVünsche befriedigt werden, unsere vielfachen Fragen 
ihre Erledigung finden, so dürfen wir unsere Hoffnung nicht auf die schrift- 
lichen Ueberlieferungen, sondern nur auf die Werke selbst setzen, von denen 
uns das Schicksal einen Theil noch erhalten hat, einen andern vielleicht noch 
vorenthält, bis wir zur vollen Würdigung; derselben reifer sein werden. Hier 
also geht die Aufgabe der Kunstgeschichte über die Grenzen hinaus, welche 
wir uns für die Geschichte der Künstler gesteckt haben. 
Die Resultate, welche sich aus den bisherigen Untersuchungen ziehen 119 
lassen, sind sehr allgemeiner Art. Der Umfang der künstlerischen Thätigkeit 
erweitert sich immer mehr, aber nicht regellos, sondern allmählig und in sehr 
bestimmten Richtungen. Eine Hauptaufgabe bildet immer noch die Darstellung 
der Götter. Unter den grossen olympischen Göttern ist keiner, den wir nicht 
ein- oder einigemale unter den Werken dieser Periode gefunden; und wenn 
nicht als ganz selbstständiges Tempelbild, so doch wenigstens in Vereinigung 
mit andern als religiöses Weihgeschenk. Dagegen ist die Bildung der unter- 
geordneten Götter und göttlichen Wesen noch sehr beschränkt und von dem, 
was später üblich ward, durchaus verschieden. Die mannigfachen Gestalten 
aus dem Kreise des Dionysos, des Poseidon und anderer Götter, die zwar auch 
für sich allein eine Geltung; haben, aber doch mehr ein Ausfluss aus dem YVesen 
einer höheren Gottheit sind, die sich einem allgemeineren Begriffe, wie Zeit, 
Schicksal, dem Wirken einer Naturkraft, Licht, WVasser, unterordnen lassen, sind 
der bildenden Kunst, wenigstens der statuarischen, noch fremd. Nur ein kleiner 
Kreis bildet eine Ausnahme: es sind die Chariten, Horen, Moeren" und etwa 
noch die Musen und Sirenen, also sämmtlich bestimmt abgeschlossene Frauen- 
gruppen, die abgesehen von dieser äusserlichen Aehnlichkeit auch in ihrem 
inneren Wesen manche Analogie verrathen. Ihre Geltung aber in dieser älteren 
Zeit ist von der späteren Ausbildung weit verschieden. Die Ghariten sind nicht 
jene späteren Begleiterinnen der Aphrodite, wir finden sie auf den Händen des 
delischen Apollo, im Tempel der Nemeses zu Smyrna, wie im Vorhof der Athene 
von Erythrae; die Horen sind nicht die einfachen Göttinnen der verschiedenen 
Jahreszeiten: sie stehen ebenfalls im Vorhof der Athene, im Tempel der Hera 
zu Olympia. Die Sirenen erblicken wir auf der Hand der Hera; die Moeren 
nur einmal mit den Horen, und die Horen mit den Musen auf dem Grabe des 
Hyakinthos im Tempel zu Amyklae. Die Musen des Ageladas, Kanachos und 
Aristokles erscheinen uns zwar selbstständig, allein wo, in welcher Verbindung 
Sie aufgestellt waren, wissen wir nicht. ln allen übrigen Fällen sind diese 
sämmtlichen Frauenvereine nicht um ihrer selbst willen da, sondern in engster
	        
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