Volltext: Die Bildhauer (Bd. 1)

Bildhauer. 
die stärkere Anspannung wirkender, tragender Kräfte. In diesem Abwägen des 
Gleichgewichtes zwischen Massen und Kräften liegt aber die Grundbedingung 
nicht blos für diese, sondern für jede gute Composition, welcher Zeit sie auch 
angehören mag. Denn nur dadurch wird dem Beschauer diejenige Beruhigung 
mitgetheilt, Welche nothwendig ist, um sich dem Genusse der Schönheiten in 
der Durchhildung des Einzelnen völlig hingeben zu können. 
Ich fürchte zu weit zu gehen, wenn ich schon jetzt nach diesem einen 
Werke von geringem Umfange ein wesentliches Merkmal für den Charakter 
der alt-attischexi Kunst darin zu erkennen glaube, dass diese ihre Aufmerksam- 
keit vorzugsweise auf die Gesarnmtheit der ganzen Erscheinung, auf das totum 
ponere richtete, während die aeginetische Kunst mehr Gefallen an der feineren, 
naturgemässeren Bildung des Einzelnen fand. iDoch scheint n1ir die vorge- 
schlagene Unterscheidung wenigstens so weit begründet, dass sie einst einer 
112 genaueren Prüfung mit Hülfe anderer aus dieser Periode erhaltener Sculptur- 
werke würdig befunden werde. 
Künstler 
im 
übrigen 
Griechenland. 
Ausser in Argos, Sikyon, Aegina und Athen finden wir keine Schulen 
oder Gruppen bedeutender Künstler. Nur hie und da werden vereinzelte Namen 
genannt, die meist nur insofern Berücksichtigung verdienen, als sie uns ein 
ungefähres Bild von der Ausbreitung der Kunst über Griechenland in dieser 
früheren Zeit geben. 
Theben. 
Pythodoros machte ein Bild der Hera mit den Sirenen auf der Hand 
für den Tempel der Göttin in Koronea. Dass der Künstler der alten Zeit an- 
gehöre, schliessen wir nur daraus, dass Pausanias (IX, 34, 8) sein Werk alt nennt. 
Askaros lebte um die Zeit des Xerxes, wie oben unter Ageladas gezeigt 
ist, und sein Lehrer aus Sikyon, dessen Name uns verloren gegangen ist, könnte 
also sehr wohl Kanachos oder Aristokles sein. Sein Werk war das Bild eines 
Zeus in Olympia, das mit Blumen bekränzt war und den Blitz in der Rechten 
hielt. Die Phocenser hatten es wegen ihrer Siege über die Thessalier auf- 
gestellt: Paus. V, 24-, 1. 
Aristomedes und Sokrates waren Zeitgenossen des Pindar (Ol. 65, 
8-85, 2); denn sie machten für ihn das Bild der dindymenischen Mutter in 
dem Tempel, den er geweiht hatte. Die Göttin nebst dem Throne, auf dem sie 
sass, war aus einem Stücke pentelischen Marmors: Paus. IX, 25, 3. 
Naupaktos. 
Unter der kalydonischen Beute, welche Augustus den Bewohnern von 
Patrae schenkte, befand sich ein Bild der Artemis Laphria in jagender Stellung 
aus Gold und Elfenbein, ein Werk der Naupaktier Menaechmos und Sot- 
das. Ihr Zeitalter ward dem Pausanias (VII, 18, 10) um weniges jünger an- 
gegeben, als das des Kanachos von Sikyon und Kallon von Aegina. Naupaktos 
aber ward Ol. 87, 2 den Messeniern zum Wohnsitz gegeben. Die Künstler 
lebten also wohl gegen Ol. 80, da sie sich sonst Messenier aus Naupaktos ge- 
nannt haben würden.
	        
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