Die
griechische
Kunst
Zeit
mischen
Herrsc
413
Verständniss der Natur in ihren reichen, aber ewig wechselnden Erscheinungen
bereits die nöthige Befähigung mangelte; und dass dies in der That der Fall
war, bestätigt sich uns denn auch theils durch die zu häufige Wiederkehr be-
stimmter einzelner Formen und Motive, Welche an Manier grenzt, thcils durch
vielfache Spuren der Unsicherheit in der Behandlung des Einzelnen. Betrachten
wir indessen schliesslich das YVerk in der Gesammtheit aller seiner Vorzüge
und ltlängel, so leuchtet selbst aus den Mängeln ein Verdienst hervor, welches
in gewisser Beziehung immer als das höchste gelten muss: das Verdienst der
Selbständigkeit. Wohl mag es noch gleichzeitig mit Archelaos Künstler gegeben
haben, welche im engen Anschlusse an die besten Muster der älteren Zeit alle
die im Einzelnen gerügten Mängel vermieden haben, deren Werke bei der Bein-
heit der ursprünglichen Anlage durch eine grosse Freiheit und Leichtigkeit der
Behandlung zu einer grösseren Abrundung und Vollendung gediehen scheinen.
Aber diese Künstler sind doch immer, wenn auch im besten Sinne, Copisten
und Nachahmer, denen die höchste, nemlich die geistige Schönheit ihres Werkes
nicht als Eigenthum gehört. An dem Relief der Apotheose gewährt es dagegen
bei längerer Betrachtung einen besonderen Reiz, den Künstler in seinem Streben
und Ringen mit Schwierigkeiten zu beobachten, und den Gründen nachzugehen,
welche ihn in der Anlage und Ausführung aller Einzelnheiten geleitet haben.
Bei einem solchen Studium des Werkes aber, welches dem des Künstlers selbst
verwandt ist, vermögen wir schliesslich aus den Fehlern nicht weniger, als aus
den Verdiensten, noch reiche Belehrung zu schöpfen.
Bei dem Zusammenhange, welchen wir zwischen der Apotheose, der Ta-
bula Iliaca und den mit dieser verwandten Werken angenommen haben, würde
es keineswegs unangemessen erscheinen können, wenn wir auch über diese
hier ausführlich handelten, selbst wenn der Theodoros, von dessen räxvr; die
Rede ist, nicht der Künstler, sondern nur der Grammatiker war, welcher die
Disposition dieser Werke angegeben hatte. Es würden sich dabei noch manche
Analogien mit der Apotheose herausstellen: sowohl äusserlich in der Anordnung
in übereinanderstehenden Feldern, als hinsichtlich der geistigen Auffassung:
so z. B. darin, dass der Ruhm Alexanders, der Schild mit der Schlacht bei
Arbela, von den Figuren Europas und Asiens getragen wird, gerade wie die
Zeit und die bewohnte Erde den Ruhm Homers bezeugen. Lehrreich würde
namentlich auch eine genaue Untersuchung darüber sein, in wie weit, und
unter welchen Modificationen in der Darstellung dereinzelnen Scenen schon
vorhandene Compositionen aufgenommen worden sind. Auf jeden Fall haben
jedoch diese Monumente eine höhere Wlichtigkeit vom Standpunkte der Litteratur-,
als von dem der Kunstgeschichte; und es wird daher vortheilhafter sein, litte-
rarische Erörterungen im grösseren Zusammenhange, als sie bis jetzt gegeben
sind, abzuwarten, und erst dann auf ihrer Grundlage die Untersuchung der
künstlerischen Fragen wieder aufzunehmen.
Das nächste Jahrhundert, wie es uns überhaupt die dürftigsten Nachrichten
über die Künstler bietet, giebt uns auch über die weitere Entwickelung der
kleinasiatischen Kunst keinen directen Aufschluss. Erst aus der Zeit Hadrians
sind uns einige Werke erhalten, welche auf die Existenz einer Kunstschule in
Aphrodisias hindeuten, der Hauptstadt von Karien, wie wir oben vermutheten.