griechische
Kunst
zur Zeit
Herrschaft.
römischen
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schnittenen Theil zu ergänzen nöthig hätte, um sie einzeln als Statuetten auf-
stellen zu können.
Diese Bemerkung mag uns jetzt weiter leiten zur Betrachtung der Com-
position der einzelnen Figuren; und hier werden wir noch einen bestimmteren
Grund für die vom Künstler gewählte Darstellungsweise finden. Ich will dabei
keinen Nachdruck auf die Figur des Dichters neben der Grotte Apollos legen:
sie soll offenbar eine Statue darstellen, und wahrscheinlich eine bestimmt ge-
gebene. Um so mehr Beachtung verdient aber die Apollo zunächst stehende
Muse, Polyhymnia, welche geradezu eine Gopie einer bekannten Statue ist, deren
Original oder vorzüglichste Replik sich im Museum von Berlin findet. Eben so
erinnert Apollo stark an bekannte Kitharoedenstatuen; und in vielen der übrigen
Figuren glauben wir häufig mehr oder minder bedeutende Reminiscenzen aus
statuarischen Werken zu erkennen, wenn wir auch bei der Lückenhaftigkeit
unserer Kenntnisse nicht überall das zu Grunde liegende Original nachzuweisen 589
im Stande sind. Wir dürfen also annehmen, dass der Künstler in der Erfin-
dung der einzelnen Figuren keineswegs selbständig verfuhr, sondern namentlich
i11 der Darstellung der Musen aus statuarischen Vorbildern den möglichsten
Nutzen zu ziehen bestrebt war, während in der Scene der Apotheose die zahl-
reichen Votivreliefs ihm überall Hülfe gewähren mussten. Daneben lässt sich
freilich das Streben nicht verkennen, diese einzelnen von anderwürts entlehnten
Glieder unter einander in Verbindung zu setzen, zu einer Einheit zu verschmelzen
und eine gewisse Harmonie unter ihnen herzustellen. Aber auch hier zeigt sich
der Mangel an freier Erfindungsgabe nur von neuem wieder. In der neueren
Kunstgeschichte ist die Stellung der meisten Figuren bei Perugino wegen ihrer
ewigen Wiederkehr gewissermassen berüchtigt. In dem Relief des Archelaos
finden wir ein ähnliches Nachschleppen des einen Fusses in einer ganzen Reihe
von Figuren. Das einseitigeiStreben, die ganze Breite der Brust zu zeigen,
ward schon früher berührt. Indem so allerdings, wenigstens scheinbar, eine
grössere Freiheit für die Bewegung der Arme gewonnen wurde, verlor jedoch
eben dadurch das Relief in stylistischer Beziehung viel von der nothwendigen
Ruhe, und es zeigte sich das Bedürfniss, dieselbe durch strengere Anordnung
der unteren Partien der Figuren einigermassen wieder herzustellen. Das ge-
wählte Auskunftsmittel ist wiederum ein einseitiges und manierirtes: fast bei
allen stehenden Figuren fällt das Gewand von der Mitte des Leibes in langen
geraden Falten herab und setzt sich vor den Füssen auf der vorderen Kante
des Bodens in einer schweren Masse auf, als sollte dieselbe den Figuren zur
Stütze dienen und sie in dem Relief feststellen. Es wird nicht nöthig sein,
noch genauer auf Einzelnheiten der Behandlung; einzugehen. Ein aufmerksamer
Beobachter wird sich leicht selbst überzeugen können, dass neben vielen eben
so vortrefflich angelegten, als durchgeführten Partien sich wiederum andere
finden, in denen sich ein Mangel an feinem Gefühl, eine gewisse Aengstlichkeit,
ein nicht immer erfolgreiches Suchen nach Reinheit und Eleganz der Formen
verräth. Täuscht mich der Gypsabguss nicht, welcher mir zu Gebote steht, so
nähert sich auch die technische Behandlung derjenigen des borghesischen Fech-
ters, welche wir ja aus ähnlichen Ursachen herleiten zu müssen glaubten.
Ueberblicken wir jetzt noch einmal die bisherigen Beobachtungen, so ist 590