Volltext: Die Bildhauer (Bd. 1)

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Bildhauer. 
die auch mit der Anmuth sehr wohl zu vereinbarende, hier noch besonders 
durch den architektonischen Zweck gebotene Strenge und Präcision ein. ES 
fehlt darum diesem Werke ein bestimmt ausgeprägter Charakter und damit das 
höhere künstlerische Verdienst, wenn es auch, indem es sich in der allgemeinen 
Anlage den Mustern der besseren Zeit anschliesst, den Zwecken einer gefälligen 
Decoration noch vollständig genügt. 
Ueber die stylistischen Eigenthümlichkeiten der Ausführung in den 
Reliefsdes Salpion, Kleomenes und Sosibios geben die Erklärer, indem sie 
mehr den mythologischen Inhalt der Darstellung ins Auge fassen, keine oder 
Wenigstens für unsere Zwecke nicht genügende Rechenschaft; und bei dem 
Mangel eigener Anschauung vermag ich diese Lücke nicht auszufüllen. Mehrere 
andere Monumente, welche wenigstens in der äusseren Form ihnen nahe ver- 
wandt scheinen und sicherlich einer ähnlichen Kunstrichtung angehören, zeichnen 
sich vor der Masse selbst guter römischer Reliefs vortheilhaft aus, sowohl durch 
die Reinheit der Anlage als durch die anspruchslose Tüchtigkeit der Ausfüh- 
rung. Aber selbst die Besten unter ihnen können sich doch mit den Werken 
der älteren athenischen Kunst weder in der Frische und dem feinen Gefühle 
der Modellirung, noch in der strengen Wahrung des Reliefstyls messen, und 
verrathen schon in der ganzen Behandlung, dass hier der Zweck einer anmu- 
thigen und gefälligen Decorirung zu überwiegen beginnt. 
570 Aus allen diesen einzelnen Bemerkungen wird sich jetzt ein allgemeines 
Resultat leicht ziehen lassen: es gilt von dem formellen Theile der Kunstübung 
dieser späteren Attiker dasselbe, was wir über ihr poetisch-künstlerisches Schaffen 
bemerkt haben. Sie befinden sich durchaus in Abhängigkeit von den Leistungen 
der früheren Zeit; und die ausgezeichnetsten unter ihnen sind noch gerade die- 
 jenigen, welche sich dieser Abhängigkeit klar bewusst geworden sind und frei- 
willig darauf verzichtet haben, sich derselben zu entziehen. YVas sie geleistet 
haben, darf immer als eine vortreffliche Nachblüthe der schönsten Epoche atti- 
scher Kunst gelten; und zu einer Zeit, als die Werke der letzteren noch nicht 
bekannt waren, konnte sie mit vollem Rechte als ein Ersatz betrachtet werden, 
um das Wesen der attischen Kunst wenigstens nach seinen Grundprincipien 
und in seinen bauptsächlichsten Vorzügen kennen zu lernen. Die Anstrengungen 
Einzelner, ihren Werken ein selbständigeres Verdienst zu verleihen, scheinen 
auf die allgemeine Richtung dieser attischen Kunstschule ohne wesentlichen 
Einfluss geblieben zu sein, ja haben nicht einmal in den einzelnen Fällen den 
Erfolg gehabt, etwas eigentlich Neues und Eigenthümliches ans Licht zu fördern. 
Sie gehen vielmehr nur darauf aus, in bestimmten schon vorhandenen Rich- 
tungen die Leistungen der Früheren zu überbieten, das Zarte zarter, das Kräftige 
kräftiger zu bilden, in der Durchführung allen Einzelnheiten dieselbe Sorgfalt 
zu widmen u. s. w. Aber gerade diese Versuche zeigen häuiig, wie nach und 
nach das feinere Gefühl immer mehr schwindet und eine rein äusserliche und 
materielle Auffassung um sich greift. Im zweiten Jahrhundert n. Ch. verlieren 
wir jede Spur dieser Schule. Es ist möglich, dass sie noch länger ihr Dasein 
gefristet hat; aber bei dem allgemeinen Verfall kann auch ihr Loos, selbst wenn 
sie sich vor barocken Ausschweifungen bewahrte, doch nur ein stets wachsendes 
Siechthum und endlich gänzliche Verflachung gewesen sein.
	        
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