griechische Kunst
Zeit
Herrschaft.
imischen
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Mehr Eigenthümlichkeit verräth in der ganzen Behandlung; die Pallas des
Antiochos in der Villa Ludovisi, und wenn Winckelmann sie schlecht und plump
nennt, so ist er zu diesem verdammenden Urtheile wohl nur durch den heutigen
Zustand der Statue verleitet worden. Die angesetzte Nase entstellt das ganze
Gesicht in hohem Maasse, und nicht weniger unharmonisch wirkt der moderne
Helmbusch. Ferner aber sind an dem kürzeren Uebergewande alle Ränder ab-
gestossen, wodurch die damit zusammenhängenden Gewandpartien ziemlich roh
und unbeholfen erscheinen. Gerade diese Beschädigung ist jedoch für'den Ein-
rlruck des Ganzen um so nachtheiliger, je mehr der Künstler, nach den erhaltenen
Theilen zu urtheilen, sein Verdienst besonders in einer äusserst sorgfältigen
und präcisen Durchführung des Gewandes gesucht hat. Die Kanten und Brüche
sind möglichst scharf angegeben, die einzelnen Falten tief eingeschnitten und
eine jede ihrer besonderen Natur gemäss durchgebildet, so dass das Werk in
seinen Einzelnheiten sogar vortrefflich genannt werden kann. In der Verbindung
des Einzelnen zum Ganzen verräth sich jedoch bald der Künstler der späteren,
d. h. der römischen Zeit. Eben jene Sorgfalt äussert sich zu materiell und zu
gleichförmig in allen Theilen, möge denselben eine grössere oder eine geringere
Bedeutung gebühren, und beeinträchtigt dadurch Wesentlich die Uebersichtlich-
keit des Ganzen. Die gleich tiefen und scharfen Einschnitte der Falten verur-
sachen eben so gleichartige Schatten, durch welche die kleineren Partien, welche
sich innerhalb der Hauptabtheilungen des Gewandes bilden mussten, in gleich-
förmige Einzelnheiten aufgelöst werden. So fehlt die reichere Abwechselung,
und eine gewisse Eintönigkeit, welche durch den Mangel der Mittelglieder ent-
stehen muss, lässt das Ganze schwerer und weniger anmuthig erscheinen, als
es in der tirsprünglichen Idee gedacht zu sein scheint. Der Künstler aber hat
von der Sorgfalt, welche er auf die Durchführung verwendet hat, nicht nur keinen
Gewinn, sondern er verräth uns dadurch, dass er dem künstlerischen lllachwerk
bereits eine grössere Bedeutung beilegt, als demselben den höheren Forderungen
der Kunst gegenüber gebührt.
Diogenes, sofern er wirklich der Künstler der Karyatide im Vatican ist,
hat seine Stellung zur Kunst besser begriffen. Er hat sich streng an sein
Original gehalten, sowohl in der Anlage des Ganzen, als der hauptsächlichsten
Einzelnheiten; beansprucht aber keineswegs, dasselbe in allen seinen Vorzügen
oder auch nur in irgend einer Beziehung zu überbieten. Dadurch genügt sein
Werk dem Zwecke, für welchen es bestimmt war, in der vollständigsten Weise;
und die Reinheit, in welcher die ursprüngliche Idee auch aus der Nachbildung
hervorleuchtet, lässt uns leicht die weniger detaillirte Ausführung übersehen.
Minder günstig wird unser Urtheil ausfallen über die albanische Karyatide von
Kriton und Nikolaos (und deren wohl von denselben Künstlern herrührenden
Seitenstücke). Schon Winckelmann bemerkte „in den Köpfen eine gewisse
kleinliche Süssigkeit nebst stumpfen und rundlichen Theilen, die in höherer
Zeit der Kunst, auf welche man vielleicht aus der Form der Buchstaben der
Inschrift schliessen könnte, schärfer, nachdrücklicher und bedeutender gehalten
sein würden." Dasselbe gilt in gleicher Weise von den Gewändern, ja von den
ganzen Figuren. Der Künstler strebte offenbar nach einer gewissen milden
Anmuth; aber indem er alle Härten und Schärfen zu mildern suchte, büsste er