Die Bildhauer.
Winckelmanifs über eine andere berühmte Heraklesstatue, die hier in Betracht
zu ziehen ist, nemlich die farnesische des Glykon. An diesem Werke treten die
Eigenthtimlichkeiten der Behandlung in so scharfer Weise hervor, dass es- nicht
nöthig sein wird, ausführlich in die Einzelnheiten derselben einzugehen. Der
Künstler hat, was die Natur selbst in ihrer vollsten Entwickelung darbietet, noch
überbieten wollen; alle Formen zeigen eine Fülle und Massenhaftigkeit, wie sie
wohl nie in der Wirklichkeit zu finden sind. Die Muskeln liegen nach Winckel-
rnann's Ausdrucke .,Wie gedrungene Hügeln; die Adern treten an mehreren
Stellen an die Oberfläche, wie es nur während oder nach einer angestrengten
Arbeit oder hoher Erregung der Fall sein kann. Das Ganze wird dadurch
schwerfällig, und die gewaltigen Massen erscheinen einer freien und schnellen
Bewegung und einer auf elastischer Spannung der Muskeln beruhenden Kraft-
entwickelung eher hinderlich als förderlich. Gegen den Vorwurf des Schwulstes
und der Uebertreibung, von welchem ich den Künstler nicht gänzlich frei-
sprechen möchte, sucht ihn nun Winckelmann (Kunstgesch. X, 3, 18) sicher zu
stellen, indem er ihm eine ideale Auffassung der Art beilegen will, dass die
übermenschliche Gewalt des Heros auch durch übermenschliche Formen habe
dargestellt werden sollen. Allein dieser ldealbegriif, welcher ein Ueberbieten
567 der Natur auch in ihren vollkommensten Bildungen für möglich hält, darf wohl
jetzt als beseitigt betrachtet werden, nachdem wir gerade in den vollendetsten
Schöpfungen der griechischen Kunst die reinste und höchste Natur wieder-
gefunden haben. Wohl mag dem Künstler selbst jener unrichtige ldealhegriff,
den Winckelmann ihm beilegt, wirklich vorgeschwebt haben; aber eine Recht-
fertigung oder ein Lob dürfen wir darin füriihn jetzt nicht mehr finden, son-
dern vielmehr daraus schliessen, dass zu einer selbständigen Weiterbildung der
Kunst das tiefere Verständniss ihres Wesens und ihrer Gesetze bei dem Künstler
des Herakles nichtmehr vorhanden war.
Die noch übrigen Werke stehen selbst den bisher betrachteten im Werthe
der Ausführung nach; und es werden daher über sie wenige Bemerkungen ge-
nügen. Dem Satyr des Apollonios giebt Müller das Prädicat vorzüglicher
Schönheit: „Die Umrisse des Körpers haben etwas ungemein Leichtes, Fliessen-
des und Edles; und den Satyr erkennt _man fast nur an dem thierischen
Sclnveife. Die schönen Beine sind glücklicherweise fast ganz erhalten." Leider
fehlt uns zur Würdigung dieses Urtheils ein bestimmter Maassstab. Eine über
das Verdienst guter Arbeiten der Kaiserzeit hinausgehende Vortretllichkeit würde
indessen Wahrscheinlich in anderen Worten ihren Ausdruck gefunden haben.
Von dem in der Villa Hadrians gefundenen Apollo eines Apollonios sagt Vis-
conti geradezu: er scheine nach dem Werke eines andern gleichnamigen
Künstlers copirt zu sein, da der Styl des Bildes eben kein bedeutendes Talent
bekunde. Der sogenannte Germanicus verdient gewiss das Lob einer guten
Arbeit römischer Zeit. Aber der mit ihm übereinstimmende ludovisische Hermes
z. B. steht ihm kaum in irgend einer Beziehung nach; und beide Statuen sind
doch nur gewissenhafte und nicht ohne feinen künstlerischen Sinn durchgeführte
Wiederholungen eines Vorbildes aus der besseren Zeit. Eben so tritt die Bronze-
büste von Apollonios unter anderen in Herculanum gefundenen X7Verke11 keines-
wegs durch Vorzüge besonderer Art hervor.