Volltext: Die Bildhauer (Bd. 1)

Kunst der 
Diadochenperiode 
Zerstörung 
Jrinfhs. 
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Künstliche tritt überall an die Stelle des Einfachen und Natürlichen; und wenn 
man in einzelnen Dichtungsarten, wie namentlich im Idyll, recht absichtlich zu 
dem unschuldigen, unverdorbenen Naturleben zurückzukehren strebte, so zeigt 517 
sich gerade darin, wie wenig man sich im Stande fühlte, die ursprüngliche 
Natur in allen andern Lebensverhältnissen wiederzufinden. In gleicher Weise 
tritt auf dem Gebiete der bildenden Kunst zwar ebenfalls das Bedtlrfniss her- 
vor, in kleineren YVerken, wie den Darstellungen aus dem Kinderleben, die 
anspruchsloseste Naivetät walten zu lassen. Aber auch hier war dieses Be- 
dürfniss offenbar erst durch den Gegensatz hervorgerufen: man bedurfte ge- 
wissermassen der Erholung, nachdem man in den grösseren, anspruchsvolleren 
Schöpfungen die ganze Fülle künstlerischen Wissens und Könnens aufzuwenden 
genöthigt gewesen war. Um den Umfang desselben in allen Einzelnheiten zu 
ergründen, würde freilich die genaue Kenntniss einer grösseren Zahl von Werken 
erforderlich sein, als uns erhalten ist. Doch haben uns die Gallier und der 
Laokoon Stoff zu Bemerkungen in hinlänglichem Maasse gewährt, um ein Ur- 
theil im Allgemeinen zu begründen. In Hinsicht auf formelle Behandlung 
konnten uns die ersten namentlich darüber belehren, in welcher Weise man  
damals, um aus schwankenden und unsicheren Beobachtungen der Einzeln- 
heiten in der Natur zur schärfsten Charakteristik der Barbarenbildung sich em- 
porzuarbeiten, auf die Bahn eines kritischen Eklekticismus geleitet wurde. Am 
Laokoon dagegen erkannten wir, wie man die Kenntnisse, welche zur Dar- 
stellung der höchsten Anspannung aller Kräfte erforderlich waren, durch ein 
gründliches anatomisches Studium des menschlichen Körpers sich anzueignen 
gewusst hatte. Wenn wir ferner behaupteten, dass bei der Gomposition dieser 
und der verwandten Gruppe des Stieres die Mannigfaltigkeit vieler einzelnen 
Motive durch eine berechnete Unterordnung- derselben unter gewisse, nicht so- 
wohl durch die Handlung, als durch den Raum-bedingte Grundverhältnisse zu 
einer klaren und übersichtlichen Einheit verknüpft worden seien, so vermutheten 
wir bei den Galliern, dass der Künstler eben so absichtlich die geschlossene 
Einheit der Handlung gerade aufgegeben habe, um die aus dem inneren Wesen 
der dargestellten Kämpfer entspringenden Motive in mehr gesonderten Figuren 
oder Gruppen klar und erschöpfend durchbilden zu können. So schön nun aber 
z. B. das psychologische Bild des Sterbenden gezeichnet ist, so werden wir 
doch die freie poetische Schöpfungskratt nicht zu hoch anschlagen dürfen: man 518 
möchte sagen, dass in der ganzen Auffassung, wenn auch durch die Natur der 
Aufgabe gerechtfertigt und darum weniger anstössig, ein gewisser didaktischer 
Grundcharakter sich erkennen lasse. Und selbst in den grossartigsten Werken 
der rhodischen Schule ist es vielleicht weniger das Walten eines ursprünglich 
poetischen Genius, als die Feinheit in der Gombination spannender Einzelnheiten 
und deren Zusammenfassen in einen einzigen effectvollen Moment, was uns mit 
Staunen und Bewunderung erfüllt. 
Je grösser aber überall die Schwierigkeiten waren, welche der Künstler 
zu überwinden hatte, je grössere Sorgfalt er anwendete, den mannigfaltigsten 
Forderungen gerecht zu werden, um so mehr musste er in Versuchung gerathen, 
zuweilen noch mehr, als es durch die Sache geboten war, sich selbst, sein 
Wissen und sein Können zu zeigen. Gerade daraus aber entspringt zum grossen
	        
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