Kunst
Diadochenperiodg
Zerstörung
Korinths.
34.5
keinen bestimmten Begriff von der Natur des Muskels gehabt zu haben, er
spricht von Fleisch im Allgemeinen. Am Laokoon erscheinen die Muskeln zum
Theil so scharf geschieden, so in ihrer Vereinzelung wirkend, dass zu solcher
Darstellung blosse Beobachtung der lebendigen Natur nicht mehr genügen
konnte, sondern ein bestimmtes Wissen nöthig wurde; und es ist daher gewiss
kein zufälliges Zusammentreffen, dass gerade in der Diadochenzeit, in welche
wir den Laokoon setzen, das eigentlich anatomische Studium des menschlichen
Körpers beginnt 1). In einer Epoche der Gelehrsamkeit, wie die alexandrinische
war, konnte natürlich eine gelehrte Behandlung des menschlichen Körpers in
der Kunst ihre Wirkung nicht verfehlen. In der Gruppirung lässt sich das
Streben nicht verkennen, möglichst viele Motive in einen kleinen Baum, in
eine eng geschlossene Einheit zusammenzudrängen. Die frühere mehr epische
Auffassung, welche alles Einzelne klar auseinander zu legen sucht, Weicht der
dramatischen, in Welcher die ganze Handlung, wie sie sich entwickelt hat und
noch ferner entwickeln soll, in einen einzigen bedeutsamen Moment concentrirt 494
erscheint. Und so ist denn auch, wie Welcker sehr schön nachgewiesen hat,
die Auffassung des Gegenstandes derjenigen entsprechend, welche in der Tragödie,
und zwar von Sophokles ausgebildet vorlag. Der geistige Ausdruck aber ist
durchdrungen vom höchsten Pathos, von einem Pathos, welches nicht in der
inneren Natur der dargestellten Person begründet und daher dauernd ist, auch
nicht, etwa wie bei der Niobe, sich rein als der Schmerz der Seele offenbart,
sondern zunächst und hauptsächlich nur durch den einen flüchtigen Moment
der Handlung mit aller ihrer körperlichen Anspannung verständlich erscheint.
Wenn wir nun in dieser Steigerung nach allen Richtungen hin nicht
einen Fortschritt zu erkennen vermochten, welcher überall zum Frommen der
wahren Kunst ausgeschlagen wäre, so müssen wir dagegen zugestehen, dass
die Künstler einer Menge von Gefahren, welchen sie auf ihrer Bahn begegnen
mussten, noch glücklich entgangen, nirgends in ganz willkürliche Satzungen
und extreme Richtungen verfallen sind. So sehr wir auch oft finden, dass die
Künstler uns an ihre Meisterschaft zu erinnern streben, so haben sie doch stets
versucht, uns dieses Streben als in der Natur ihres Werkes begründet, als da-
durch erst hervorgerufen zu zeigen; wir werden nirgends sagen können, dass
sie auf Kosten des Kunstwerkes Kunststücke versucht haben. Die Meisterschaft
der Technik scheint nothwendig zur Darstellung der Form; die Meisterschaft
in Behandlung der Form wiederum nothwendig zur Darstellung der Bewegung.
Die kunstreiche Verflechtung aller Bewegungen schliesst nicht nur für das
äussere Auge die ganze Gruppe zu einer Einheit zusammen, sie zeigt auch die
Sicherheit des Wirkens der von den Göttern zur Strafe abgesandten Werkzeuge.
Ueber dem Ganzen ist aber trotz aller körperlichen Anstrengung, trotz alles
körperlichen Leidens eine gewisse geistige Ruhe und milde Wehmuth ausge-
gossen; und, Alles in Allem genommen, verdienen „bei der niedrigeren Nach-
welt, die nichts vermögend ist hervorzubringen, was diesem Werke nur ent-
fernter Weise könnte verglichen werden", wie Winckelm ann sagt, die Künstler
des Laokoon die höchste Bewunderung. Stehen sie auch an reiner poetischer
Hernlann
Stud.
griech.
Künstl.