Kunst
Die
Diadochenperiode
bis zur
Zersti
rung
Korinths.
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wir einmal den Kopf, etwa im Gypsahgtiss, ganzvon der Gruppe getrennt zu
betrachten und diese, so viel wie möglich, ganz zu vergessen: er wird sicher-
lich darauf verzichten, das Einzelne des Ausdrucks nach bestimmten Richtungen
nachweisen zu wollen; ja er wird kaum im Stande sein, die Wirkung, Welche
der Kopf beim Anblicke der ganzen Gruppe hervorgebracht, sich überhaupt nur
wieder deutlich zu vergegenwärtigen: so sehr ist dieser vom Ganzen abhängig
und eben nur im Zusammenhangs mit den äusserlichen körperlichen Motiven
der Handlung verständlich, weil er zuerst und zumeist nur ein Ausfluss dieser
Motive ist.
Diese Beobachtung liefert uns zugleich den Beweis für einen anderen
wichtigen Punkt, dafür nemlich, dass der Ausdruck des Kopfes nur der eines
einzelnen Momentes ist. Von ihm gilt besonders, was Göthe von der ganzen
Gruppe sagt: „Um die Intention des Laokoon recht zu fassen, stelle man sich
in gehöriger Entfernung, mit geschlossenen Augen davor; man öffne sie und 491
schliesse sie sogleich wieder, so wird man den ganzen Marmor in Bewegung
sehen, man wird fürchten, indem man die Augen wieder öffnet, die ganze
Gruppe verändert zu finden. Ich möchte sagen, wie sie jetzt dasteht, ist sie
ein fixirter Blitz, eine Welle, versteinert im Augenblicke, da sie gegen das Ufer
anströmt. Dieselbe Wirkung entsteht, wenn man die Gruppe Nachts bei der
Fackel sieht." Die Schilderung ist richtig. Doch dürfen wir deshalb noch nicht
unbedingt in die Bewunderung über das einstimmen, was geschildert wird.
„Alle Erscheinungen, zu deren YVesen wir es nach unseren Begriffen rechnen,
dass sie plötzlich ausbrechen und plötzlich verschwinden, dass sie das, was sie
sind, nur einen Augenblick sein können; alle solche Erscheinungen, sie mögen
angenehm oder schrecklich sein, erhalten durch die Verlängerung der Kunst
ein so widernatürliches Ansehen, dass mit jeder wiederholten Erblickung der
Eindruck schwächer wird und uns endlich vordem ganzen Gegenstande ekelt
oder graut." Diese Worte hat Lessing (Laok. Kap. III) zwar nur in Hinsicht
auf Arten des Ausdruckes geschrieben, welche noch vorübergehender sind, als
die des Laokoon, wie Lachen, Schreien; und er hat sie geschrieben zur Ver-
theidigung des Laokoon. Doch aber erleiden sie in einigermassen ermässigter
Weise ihre Anwendung auch auf seinen Ausdruck. Ekeln und grauen zwar
wird uns vor dem Laokoon nicht. Aber schwächer wird gewiss der Eindruck
bei längerem Beschauen, als wenn wir uns nach Göthe's Weise mit dem An-
blicke gewissermassen überraschen. Ich berufe mich dabei z. B. auf das Ur-
theil Danneckers, welcher bekannte, dass er den Laokoon nie lange habe be-
schauen können, dass, wenn er ein anderes schönes Werk neben ihm gesehen,
sich sein Auge unwillkürlich von ihm weggewendet habe 1).
Ich habe hier absichtlich öfter die Urtheile Anderer angeführt; sie zeigen,
wie die Ansichten schwanken und sich zuweilen scheinbar und sogar wirklich
widersprechen. Schon das wird mich entschuldigen, wenn ich, anstatt in die
mannigfaltigen Lohsprüche einzustimmen, zunächst versucht habe, die einzelnen
Erscheinungen, welche sich an dem Werke zeigen, in ihrer Wesenheit zu er-
kennen und in voller Schärfe hinzustellen. Wir sind jetzt am Ende dieser 492
Am alth