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Bildhauer
gesammten Anordnung ist Wahrlich kein geringes, und die Künstler verdienen
dafür die vollste Bewunderung. Aber freilich sind es immer wieder die Künstler,
welche wir bei dem Anblicke des XVerkes nicht vergessen können. Es wird
uns keineswegs die Ueberzeugung gegeben, dass dieses als etwas Fertiges,
Abgerundetes mit einem Wale der Phantasie des Künstlers entsprungen sei;
alles ist, wenn auch mit höchster Kunst, angeordnet, auf bestimmte Zwecke
berechnet. Dass aber dieses Urtheil in der That nicht zu hart sei, wird sich
noch mehr bestätigen, wenn wir darauf hinweisen, wie gering die eigentlich
künstlerischen Beziehungen unter den einzelnen Figuren sind. Denn sehen
wir von dem einzigen Blicke des älteren Sohnes nach dem Vater ab, so finden
wir, dass jeder für sich, von den andern gänzlich unabhängig handelt: bei der
Gemeinsamkeit der Gefahr auch keine Spur gemeinsamer Abwehr. Dass tiefere
Bezüge anderer Art wirklich vorhanden seien, soll dadurch keineswegs geleugnet
werden. Vielmehr wollen wir hier die Schilderung aufnehmen, welche Göthe
von dem Verhältnisse der drei menschlichen Figuren entworfen hat: ,.Der jüngere
strebt unmächtig, er ist geängstigt, aber nicht verletzt (letzteres kann zweifel-
haft bleiben; auf jeden Fall steht sein Untergang am sichersten bevor); der
Vater strebt mächtig, aber unwirksam, vielmehr bringt sein Streben die ent-
gegengesetzte Wirkung hervor. Er reizt seinen Gegner und wird verwundet.
Der älteste Sohn ist am leichtesten verstrickt; er fühlt weder Beklemmung, noch
Schmerz; er erschrickt über die augenblickliche Verwundung und Bewegung seines
Vaters; er schreit auf, indem er das Schlangenende von dem einen Fusse abzu-
streifen sucht; hier ist also noch ein Beobachter, Zeuge, Theilnehmer bei der
That, und das Werk ist abgeschlossen." Allein auch diese Schilderung, wenn
sie, wie ich es gern glaube, den Gedanken der Künstler richtig wiedergiebt,
487 weist uns von Neuem auf ein feines Abwägen und Berechnen hin, zeigt uns
eine durch Abstraction gewonnene Stufenleiter, eine Scheidung nach Begriffen,
wie sie in der lebendigen Bewegung der wirklichen Handlung sich wohl nie
wird nachweisen lassen.
Ich habe absichtlich bis jetzt von den Köpfen der Figuren geschwiegen,
obwohl natürlich ihr Ausdruck dem ganzen geistigen Charakter des Werkes,
so zu sagen, erst das Siegel aufdrückt. Ueber technische und formelle Behand-
lung genügen wenige Bemerkungen. Denn erinnern wir uns an die Masse und
das starke Hervortreten der Einzelnheiten an dem übrigen Körper, so ergiebt es
sich schon von selbst, dass damit ein in wenigen grossen und einfachen Formen
behandelter Kopf durchaus nicht in Einklang zu bringen sein würde. Wenn
daher in der älteren Zeit eine vorwiegende Sorgfalt auf die Darstellung der
Grundformen des Schädels verwendet wurde, so gewinnen dagegen hier die
fleischigen Theile eine erhöhte Bedeutung. In geringerem Maasse zeigt sich
dies selbst schon an den beiden Knaben, namentlich den Augenbrauen und dem
Munde, obwohl die geringe Entwickelung des übrigen Körpers auch hier noch
ziemlich enge Grenzen einzuhalten erlaubte. Namentlich aber erscheint an dem
Vater die gewaltige Anspannung aller Muskeln des übrigen Körpers auch im
Kopfe bis in die kleinsten Theile fortgebildet; ja man kann sagen, dass in Folge
davon selbst das Haar eine eigenthümliche Behandlung erfahren hat: nirgends
hält es in grösseren Massen zusammen, sondern theilt sich, am Haupte sowohl