Bildhauer.
erscheinen müsste. So sehr wir nun auch die Kenntniss bewundern, welche
sich in der Behandlung jeder Form ausspricht, so ist doch, wie gesagt, diese
Bewunderung mehr Sache des Verstandes, als des Gefühls, und bezieht sich
mehr auf den Künstler, welcher diese Kenntniss zeigt, als auf das Object, an
welchem sie gezeigt wird.
Von den einzelnen Formen wenden wir uns jetzt zur Betrachtung der
ganzen Gruppe. Sie erscheint in ihren verschiedenen Bestandtheilen, dem Vater,
den Söhnen und den Schlangen, rund und abgeschlossen, aus einem Stücke,
und darauf zielt gewiss auch der Ausdruck des Plinius: ex uno lapide, wenn
er auch wörtlich nicht richtig gewählt ist. Er spricht damit nur aus, was so
viele Beschauer von seiner bis auf unsere Zeit beim Anblicke der Gruppe als
besonders staunenswerth zu bewundern pflegen. Aber gerade, dass sich diese
Art der Bewunderung so vielen, und nicht am wenigsten den ungebildeten
Betrachtern aufdrängt, wird vielleicht bei dem vorsichtigen Beurtheiler einen
Zweifel erregen, 0b nicht darin eben so wohl ein Tadel, als ein Lob für das
Werk liegen könne. Denn wiederum ist es die Person des Künstlers, welche
' sich in den Vordergrund drängt und uns an die Sclnvierigkeiteii mahnt, welche
er durch seine Meisterschaft überwunden hat. Das höchste Lob eines wahren
Kunstwerkes wird aber immer das sein, dass es uns die Person des Künstlers
gänzlich vergessen lässt und sich uns als eine freie Schöpfung darstellt, als
eine Idee, welche sich aus sich selbst heraus, nach einer inneren Nothwendigkeit
mit einem Körper bekleidet hat, also gleichsam als etwas Gewordenes, nicht
etwas Gemachtes. Von diesem Standpunkte aus sind wir aber bei historischer
Betrachtung auch die Gruppe des Laokoon zu untersuchen verpflichtet.
Gruppen, mehrere Figuren oder ganze Figurenreihen zu einem grösseren
484 Ganzen vereinigt, sind in den früheren Perioden der Kunst nichts seltenes: wir
finden sie namentlich als Schmuck der Tempelgiebel oder als grössere Weih-
geschenke. Die einzelnen Figuren erscheinen hier äusserlich von einander
getrennt, aber nicht selbständig, sondern sind stets "der Haupthandlung unter-
geordnet; und selbst eng vereinigte kleinere Gruppen, wie die Frauen im Giebel
des Parthenon, der Paedagog mit dem Knaben unter den Niobiden, erhalten
doch ihre volle Geltung erst im Zusammenhange des Ganzen. Die Schönheit
dieses Ganzen aber offenbart sich zuerst in der Disposition der Figuren.
Von solchen Gruppen unterscheiden sich nun wesentlich diejenigen, welche auch
materiell eine abgeschlossene Einheit bilden. Denn während in jenen alle
Momente der Handlung in ihrer Breite dargelegt, ausgeführt und durch Neben-
Figuren motivirt werden können, concentrirt sich in diesen die ganze Handlung
in einem möglichst geringen Raume. Die Schönheit solcher Gruppen beruht
also im strengsten Wortsinne vornehmlich auf der Gornposition der Theile.
Die Schwierigkeiten derselben wachsen aber mit der Zahl der zu verbindenden
Theile in geometrischer Proportion. Während bei zwei Figuren eine und die-
selbe Handlung sich oft in sehr verschiedener Weise als künstlerische Einheit
erfassen lässt, wird bei drei Figuren die blosse" Nothwendigkeit eines äusseren
Gleichgewichtes weit geringere Wahl übrig lassen. In der Gruppe des Laokoon
nun gesellen sich zu den drei menschlichen Figuren noch die beiden Schlangen,
und obwohl sie der Masse nach den Menschen untergeordnet sind, so treten sie