Volltext: Die Bildhauer (Bd. 1)

Bildhauer. 
den Charakter des sich tödtenden und des sterbenden Galliers finden soll, in 
das gerade Gegentheil umkehren. Bei ihnen tobt der Sturm im tiefsten Innern, 
mag auch das Aeussere sich dem Auge des Beschauers in noch so maassvoller 
Ruhe zeigen. Schwer ist es, den Kampf der widersprechendsten Gefühle in dem 
Antlitze des sterbenden Galliers zu beschreiben, einem Seelengemälde, welches 
noch unmittelbarer zum Gemüthe des Beschauers spricht, als der verzweifelungs- 
volle Schmerz eines Laokoon. Das Haupt ist vor Ermattung gesenkt; die Augen 
sind noch nicht starr, aber von geistigem, wie von körperlichem Schmerze über- 
wältigt, unfähig noch zu beobachten, was ringxs herum vorgeht, matt und kraftlos 
niedergeschlagen, um bald gänzlich zu brechen; die Lippen trocken und vor 
Schmerz erstarrt: nur wenige Augenblicke, und es entflieht auch der letzte 
Hauch des Lebens. Aber wie verschieden ist der Ausdruck von der heiteren 
Ruhe, Welche einen Sokrates selbst bis zum letzten Athemzuge nicht verliess? 
Denken wir uns den Krieger nur um wenige Augenblicke früher, oder besser: 
blicken wir auf die ludovisische Gruppe des sich tödtenden Barbaren. Ver- 
4-55 geblich ist der Sturm trotz aller seiner Wildheit gewesen; er ist nicht nur 
 zurückgeworfen, sondern der Angreifer selbst sieht sich sogar überwältigt. Die 
Schmach ist ihm schrecklicher, als der Tod; und die Schneide des Schwertes, 
welche noch eben drohend gegen den Besieger gezückt war, wendet er jetzt 
gegen sich selbst, sein Leben mit einem sicheren Stosse zu enden. Noch wenige 
Augenblicke, und wir finden ihn in derselben Lage, in welcher wir den Sterbenden 
erblickten. Aber auch da ist sein Stolz im Innern nicht gebrochen; nur äusser- 
lich schwindet er mit dem Schwinden der Kräfte, und nur in dem Maasse geht 
der Trotz in tiefen Seelenschmerz über, als die Möglichkeit entschwindet, die 
erlittene Schmach und Demüthigung je wieder zu rächen.  Wir haben hier 
freilich nur ein concretes Beispiel vor Augen. Aber niemand wird behaupten, 
dass hier der ganze Charakter einzig durch die bestimmte Handlung bedingt 
sei. Vielmehr ist die Handlung selbst gerade erst aus dem innersten Charakter 
hervorgegangen. Den Sieg der Barbaren angenommen, würde sich ihre Leiden- 
schaft eben so an den Besiegten offenbaren, wie sie sich jetzt gegen ihr eigenes 
Leben richtet. Barbaren sind es, welche kämpfen, und sie kämpfen als Bar- 
baren. Wie in ihrem körperlichen Ercheinen, so bilden sie auch in ihrem Han- 
deln den Gegensatz des Griechenthums. Bei den Hellenen hat jede höhere, 
leidenschaftlichere Erregung ihren Zügel in der Herrschaft des Geistes; der 
Geist mässigt, bewahrt aber auch zugleich die Kraft, um selbst nach einem 
ersten unglücklichen Erfolge mit erneuter Anstrengung dem vorgesetzten Ziele 
nochmals nachzustrebeu. Der Barbar entfesselt seine Leidenschaft bis zur 
höchsten Spitze, um sein Ziel zu erreichen oder daran zu zerschellen. Der 
Grundzug in dem Charakter der Barbaren ist also ein rein pathetischer; und 
dieser Grundzug musste in der Darstellung ihrer Niederlage um so mehr zu 
Tage treten, als nicht nur dieser Gegenstand an sich ebenfalls schon ein pathetisch- 
tragischer ist, sondern auch das Unglück als ein durch eben jenen Grund- 
charakter des Volkes selbstverschuldetes, nnvermeidliches erscheint. Leider sind 
wir über das Ganze der Gomposition, sowie über ihre ursprüngliche Ausdehnung 
nicht unterrichtet. Vermuthungen, wie diejenige, dass wir in den erhaltenen 
Figuren Theile einer Giebelgruppe vor uns haben, sind zu vager und unsicherer
	        
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