Volltext: Die Bildhauer (Bd. 1)

Kunst 
Diadochenperiode 
Zerstörung 
Korinths. 
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spruch zu lösen, versetzen wir uns einmal an die Stelle des Künstlers, als ihm 
der Auftrag ward, die Niederlage der Gallier in einer Reihe von Statuen plastisch 
darzustellen. Musste ihm nicht selbst im ersten Augenblicke die Aufgabe fremd- 
artig erscheinen? YVas bei der Darstellung eines mythischen Kampfes gegen 
Nicht-Stammesgenossen erlaubt war, die Feinde äusserlich zu charakterisiren, 
in der Bildung der Körper aber sich der früheren rein griechischen Kunstübung; 
anzuschliessen, durfte er hier nicht wagen: die Gallier lebten noch in der Er- 
innerung des Königs, wie des Volkes, für welche der Künstler arbeitete, mit 
allen den Schrecken, welche ihre wilden Züge verbreitet hatten. Daher durfte 
er sich der Aufgabe nicht entziehen, sie so zu bilden, wie man sie zu sehen 
gewohnt war. Aber bisher hatte sich seine Kunst nur im Griechenthum be- 
wegt: unter Griechen hatte er gelebt, an ihnen hatte sich sein Auge selbst un- 
bewusst gebildet, an ihren Formen seine Hand geübt. Selbst die Götter waren 
nur verklärte Griechen, nach griechischen Bildungsgesetzen geformt. Anders 
war es mit den Barbaren: hier reichte der Schatz der bisherigen künstlerischen 
Erfahrungen nicht mehr aus; mochte der Künstler sein Studium an dem grie- 
chischen Körper bis zur höchsten Vollendung getrieben haben, hier musste es 
von Neuem beginnen.  
Die erste Frage, welche er sich vorzulegen hatte, war deshalb offenbar 
die: worin das eigentliche WVesen der Bildung dieser Barbaren bestehe; und 
alsbald musste er einsehen, dass er auf das Streben nach einer absoluten Schön- 
heit, welcher die schöne Form an und für sich schon Zweck genug ist, hier zu 
Gunsten einer charakteristischen Darstellung verzichten musste. Es war seine 
erste Aufgabe, den darzustellenden Gegenstand kenntlich zu machen, ehe er 
daran denken durfte, ihn zu verschönern. Er hat nicht einen schönen Körper, 
sondern den Körper eines Barbaren zu bilden, aber nicht eine bestimmte Indi- 451 
vidualität, sondern eine Persönlichkeit, an welcher die Eigenthümlichkeiten des 
Stammes, der Race zur Erscheinung kommen sollen. So stellt sich die Aut- 
gabe des Künstlers zwischen Naturalismus und Idealismus in die Mitte. 
Betrachten wir nun den Weg, welchen der Künstler gegangen ist, im 
Einzelnen und, in dem gegebenen Falle, an den erhaltenen Gallierstatuen. Er 
hat sie gefasst als hohe, kräftige Gestalten, von starker, nerviger Leibes- 
beschaffenheit, von Magerkeit und üppiger Fülle gleich weit entfernt. Jene 
Weichheit und Geschmeidigkeit des ganzen Gefüges aber, welche auch kräftigen 
hellenischen Gestalten noch eigen sind, auf denen sogar das hohe Maass der 
Kraftentfaltung bei den Griechen wesentlich beruht, geht diesen Galliern ab. 
Es sind Gestalten, welche weniger durch die kunstgerechte Vertheilung der 
Kraft und die feine Gliederung jeder Bewegung, als durch die blosse Fülle und 
Masse der Kraft eine grosse Wirkung hervorzubringen vermögen. Die Haut 
hat, wie Nibby richtig bemerkt, nicht die zarte Weichheit und Elasticität der 
griechischen, sie ist derber und fester, wie sie sich unter dem Einflusse eines 
rauheren Klimais bilden muss, und lässt deshalb die unter ihr liegenden Mus- 
keln in weniger fein geschwungenen Linien erscheinen, während sie an den 
Gelenken häufiger scharfe Brüche bilden, an Händen und Sohlen durch fort- 
währende Reibung sich hornartig verhärten muss. Eben so sind die Haare hart 
und struppig, ohne Wellenlinien, auf der Stirn steil emporstehend, und hinten
	        
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