Volltext: Die Bildhauer (Bd. 1)

sei hier im Allgemeinen zunächst folgendes bemerkt. Der Beginn der Künstler- 
geschichte ist streng zu scheiden von dem Beginne der Kunstgeschichte. Dass 
die letztere in höhere Zeiten hinaufreicht, unterliegt keinem Zweifel: Homers 
Gedichte lehren es unwidersprechlich. Ja die Betrachtung homerischer Kunst- 
werke, namentlich des Schildes und seiner streng künstlerischen Cornposition, 
kann auf den Verdacht führen, dass die Kunst in jener Zeit auf einer Stufe 
gestanden, von der sie in der nächstfolgenden Epoche wieder her-abgegangen, 
wie ja auch in der Poesie die Gykliker den Homer nicht mehr erreichten. Diesen 
Punkt näher zu erörtern, ist hier nicht der Ort. Genug, wie man die nach- 
homerischen Dichter nach ihm Homeriden genannt hat, so hiessen die Nach- 
folger des Daedalos so lange Daedaliden, als nicht ein neuer Anlass zu leben- 
digerer Entfaltung der Kunst gegeben Ward. Erst als die Kunstübung ihre 
Gleichartigkeit verlor, als durch die Bearbeitung neuer Stoffe, Metalle, Marmor, 
Elfenbein u. a. sich die Stylarten der Kunst vervielfaltigten, als zu gleicher 
Zeit die Literatur so weit vorgeschritten war, dass sie historische Nachrichten 
in grösserer Menge zu bewahren vermochte, treten aus der Gattung einzelne 
Namen hervor. Der Zusammenhang der einzelnen Person mit der Gattung 
macht sich aber zunächst noch vielfältig in Geschlechtsregistern geltend: eine 
Reihe von Künstlern heissen Söhne oder Schüler des Daedalos, d. h. sie gehen 
aus der Kunstschule oder lnnung hervor, die in Daedalos ihren Begründer er- 
kennt. Besonders aber musste der Name des Einzelnen hervortreten, wenn er 
unabhängig von diesem Zunftztisammenhange an einem neuen Orte neue Bahnen 
brach. Und in der That stehen die Künstler, welche wir zunächst zu behandeln 
haben, ausserhalb des Kreises der Daedaliden. Wir beginnen mit 
Slllili-S, 
des Eukleides Sohn, aus Aegina. Pausanias 1) nennt ihn einen Zeitgenossen 
des Daedalos, aber nicht von gleicher Berühmtheit: des Daedalos Ruhm sei 
durch weite Wanderungen weit verbreitet worden, von Reisen des Smilis da- 
gegen kenne man nur die nach Samos und Elis. Durch die Zusammenstellung 
mit Daedalos ist nun freilich der Zeitbestimmung ein grosser Spielraum er- 
öffnet, und neuere Forscher haben sich diesen auch in sofern zu Nutze zu 
machen gesucht, als sie Smilis, wie Daedalos, für einen Gattungsnamen er- 
klärten, der den Bildschnitzer bedeute, und diesen Srnilis in demselben Sinne 
an die Spitze der aeginetischen Kunstübung stellten, Wie Daedalos bei der 
attischen. Um diese Ansicht zu prüfen, stellen wir zunächst die Nachrichten 
über seine Werke zusammen. 
1) In Samos machte er das Holzbild der Hera. Ausser Pausanias (l. l.) 
berichtet dies Clemens Alexandrinus (protr. 13) aus den samischen Büchern 
eines uns unbekannten Olympichos, ferner Athenagoras (leg. pr. Ch. 14-, p. 61), 
endlich auch Kallimachus nach den Verbesserungen Bentley's und anderer bei 
Euseb. praep. evang. III, 8:
	        
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