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Bildhauer.
Irrwege leiten musste und wirklich leitete. Kephisodot, der Sohn und Erbe
seiner Kunst, wagte in seinem erotischen Symplegma den Versuch, den Be-
schauer die Natur des Steines geradezu vergessen zu lassen und in die Tau-
schung zu versetzen, als sei, so zu sagen, das Kunstwerk selbst in Fleisch und
434 Blut gebildet. WVir konnten nicht umhin, dieses Streben eine Ausartung der
Kunst zu nennen, Welche in dem angeführten Beispiele um so gefährlicher er-
scheint, als hier die Sinnlichkeit der Ausführung verbunden mit der Sinnlich-
keit des Gegenstandes sich bis zur Ueppigkeit und Wollust steigern musste.
In engem Zusammenhange mit der eben bezeichneten Richtung steht auch
die Sorge, welche man auf die Färbung des Marmors verwendete. Sie war aller-
dings auch schon der älteren Kunst eigen; jetzt aber heisst es z. B. von Praxi-
teles, er habe denjenigen seiner eigenen Werke den Preis zuerkannt, welchen
der Maler Nikias die circumlitio gegeben hatte: woraus wenigstens der hohe
Werth erhellt, welchen man auf diesen Schmuck legte. Zwar müssen wir ge-
stehen, von dem technischen Verfahren, wie von der dadurch hervorgebrachten
Wirkung nur sehr unbestimmte Begriffe zu haben. Wenn wir aber hören, dass
Silanion bei dem Bilde der lokaste dem Erze, einem Stoffe, welchem eine
täuschende Wirkung durch verschiedene Farbentöne seinem Wesen nach durch-
aus fremd sein musste, Silber beimischte, um dadurch die Blässe de-s Todes
zu bezeichnen, so müssen wir daraus schliessen, dass man sich bei dem Marmor
nicht etwa mit der Hinzufügung einiges schmückenden Beiwerkes begnügte,
sondern auf bestimmte Stimmungen des Ganzen durch die Farbe hinarbeitete.
Ein dem Verfahren des Silanion ganz analoges Beispiel lernten wir an einem
Werke des Skopas kennen, der Ziege in der Hand der Maenade, welcher der
Künstler zur Andeutung des Todes eine graublaue Farbe gegeben hatte. Bei dem
freilich aus sehr verschiedenen Stoffen zusammengesetzten Serapis des Bryaxis
wird als ein besonderes Verdienst der dunkle Ton gepriesen, welcher, der düsteren
Natur des Gottes trefflich entsprechend, über das ganze Werk ausgebreitet war.
Von solchen, theils durch Farbe, theils durch Weichheit der Behandlung
erzielten Reizen finden wir in den Werken der sikyonischen Schule keine Spur.
Hier musste das vorherrschende Material, die Bronze, die Aufmerksamkeit viel-
mehr auf die Bedeutung der Form an sich hinlenken. Argutiae operum werden
an den Werken des Lysipp gerühmt: Feinheiten in der Durchführung des
Einzelnen, welche in der durchsichtigen Oberfläche des Marmors verschwinden
würden, sofern sie sich in dem spröden, körnigen Stoffe überhaupt so dar-
435 stellen liessen, wie in dem harten, aber dehnbaren Erze. Der Zweck aber,
welchen Lysistratos bei dem Abformen über dem Leben vor Augen hatte, würde
nur halb erreicht worden sein, wenn der Abguss aus freier Hand in den Marmor
hätte übertragen werden sollen. Gerade diese Versuche nun können uns
lehren, wie weit man sich nach und nach in der Behandlung der Form von
dem Vorbilde des Polyklet entfernt hatte. Sein Streben war gewesen, die-
Menschengestalt von allen ihr etwa in der Wirklichkeit anklebenden lllängeln
zu reinigen, sie in ihrer gesetzmässigsten und daher vollkommensten Form
darzustellen. Durch eine so klare Einfachheit, welcher Farbe und Geschmack
allerdings, aber nur wie dem reinsten Wasser abgehen mochte, glaubte man
auf die Länge zu ermüden. Man suchte daher den Beschauer durch Mannig-