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Bildhauer.
auf eine witzige, oft gesuchte Pointe angelegt erscheinen. Soviel. werden wir
aber immer mit Sicherheit daraus folgern dürfen, dass das besondere Verdienst
dieses Werkes auf dem scharfgezeichneten Charakter der Leidenschaffichkeit
beruhte. Auch hier also war die Auffassung; eine durchaus pathetische. Wer-
fen wir indessen einen Seitenblick auf die Schöpfungen desjenigen Künstlers,
welcher in dieser Richtungallen anderen vorangegangen war, des Skopas, so
können wir nicht umhin, auf eine wesentliche Verschiedenheit aufmerksam zu
machen. Bei ihm bildete ein bestimmtes ndÜog die Voraussetzung der ganzen
Gestaltung; und diese selbst sollte uns die Idee desselben in seinen charakte-
ristischen Formen zur Anschauung bringen. Darum sind es nur Wesen von
allgemeinerer Bedeutung, Götter oder Daemonen aus ihrer Begleitung", an welchen
sich seine Kunst versucht. Das Bild des Apollodor dagegen war das eines ein-
zelnen Individuums, und mochte sich in demselben auch jener Charakter der
sich selbst zürnenden Unzufriedenheit bis in das Einzelnste aussprechen: ein
Portrait musste es immer bleiben. Bei der sterbenden Iokaste blieb allerdings
die Bestimmung der Form weit mehr dem freien Ermessen des Künstlers über-
lassen; dagegen war hier nicht eine bestimmte Leidenschaft in den durch sie
nothwendig bedingten Aeusserungen darzustellen, sondern ein Leiden, ein Schmerz
in einem besonderen, bestimmten Falle. Welcher Mittel bediente sich nun der
397 Künstler zur Erreichung dieses Zweckes? Leider lassen uns die Alten hier über
die wesentlichsten Punkte ohne Antwort. Nur eine Besonderheit der Technik
führen sie an: dass nemlich Silanion in das Erz, aus welchem er das Gesicht
der Iokaste bildete, Silber mischte, um in der dadurch entstehenden Blässe des
Metalls die Bleichheit des Todes wiederzugeben. Wir haben bei seinen Zeit-
genossen das Bestreben gefunden, in der Behandlung des Marmors durch eine
gesuchte Anwendung der Farbe mit der Erscheinung der Wirklichkeit zu wett-
eifern. Die Natur des Erzes musste ähnliche Versuche von vornherein auszu-
schliessen scheinen. Denn das Einsetzen der Augen, der Lippen u. s. w. aus
verschiedenem Metall oder anderen Stoffen, darf hier nicht in Betracht kommen:
es erweist sich schon darum als auf einen durchaus verschiedenen Zweck
berechnet, weil es nur bei solchen Theilen Anwendung findet, welche auch in
der Wirklichkeit nicht etwa nur in der Farbe, sondern in ihrem ganzen Wesen
sich von der übrigen Masse des Körpers bestimmt unterscheiden. Das Verfahren
des Silanion erscheint demnach als ein durchaus neues Wagstück, welches nur
in einer ganz bestimmten Absicht, nemlich um Illusion zu bewirken, unter-
nommen sein konnte. Diese Absicht aber ist für die Beurtheilung der Grund-
anschauung, von welcher der Künstler in seinem Wirken ausging, von entschei-
dender Bedeutung; denn sie lehrt uns, dass auch die Kunst des Silanion, wie
die der meisten Künstler seiner Zeit, nicht sowohl auf einem tiefen Verständ-
niss des inneren Wesens der Dinge, als auf der Beobachtung ihrer äusseren
Erscheinung beruhte und aus dieser fast ausschliesslich ihre Nahrung zog.
Wenn wir also an dem Anfange unserer Untersuchung die Frage stellten, ob
sich zwischen Silanion als Autodidakten und Lysipp nicht bestimmte Analogien
nachweisen liessen, so wird es nicht nöthig sein, die gewonnenen Resultate
nochmals im Einzelnen durchzugehen, um eine solche Verwandtschaft wenigstens
in den allgemeinen Grundanschauungen anzuerkennen. Nur kann es uns eben