Volltext: Die Bildhauer (Bd. 1)

griechische 
ihrem 
Kunst in 
Streben 
äusserer 
n ach 
Wahrheit. 
257 
auch ein anderes Epigramm des Michael Psellus (Anall. III, p. 127), dem zu- 
folge es später im Hippodrom zu Constantinopel aufgestellt war, wo es 1202 
bei der Eroberung durch die Lateiner zu Grunde ging: Nicet. Ghon. p. 861 
ed. Bonnä 
Von einer Statue mit dem Namen des Lysipp (Wohl einer Copie), welche 
in Siena gefunden, viel bewundert, aber bald aus Aberglauben vernichtet wurde, 
Endet sich eine kurze Nachricht bei Ghiberti: Bull. dell' Inst. 1837, p. 69. 
Ueber den Gegenstand der Darstellung sagt er nichts, als dass sie auf dem 
F usse, auf Welchem sie ruhete, einen Delphin (f? uno aliino) hatte. 
Was an der verwirrten Nachricht des Gedrenus (ann. p. 822) Wahr sein 
mag, dass im Palast des Lausos zu Constantinopel sich die samische Hera 
von Lysipp und dem Cbier Bupalos befunden habe, sind wir ausser Stande zu 
beurtheilen. 
Falsch ist die Inschrift einer Weiblichen Gewandfigur: MYRRI. LINI. 
LYSIPPI: Boissard ant. IV, 122. Winckelm. VI, 1, 100 und die Noten. 
Unter den YVerken des Lysipp muss, selbst wenn wir uns die sämrntlichen 
Leistungen der griechischen Kunst bis auf seine Zeit ins Gedächniss zurück- 
rufen, eines als durchaus neu und fremdartig erscheinen: der Kairos. Er ist 
das erste durchaus unzweideutige Beispiel einer reinen Allegorie. Zwar stellte 
schon Polygnot in seiner Nekyia einen Begriff, das Zaudern, durch den Oknos 
bildlich dar: aber er malt einen Mann, welcher ein Strohseil dreht, und dazu 
einen Esel, welcher dasselbe in demselben Maasse, wie es gedreht wird, wieder 
aufzehrt, also eine Handlung. Diesen Oknos dürfen wir also mit mehr Recht E 
eine mythologische Darstellung des Zauderns, als eine Allegorie desselben 
nennen. Am Kairos des Lysipp erblicken wir dagegen eine Reihe von Attri- 
buten, welche sich nicht mit einer bestimmten Handlung verbinden, auch nicht 
das, was sie sind, bedeuten, sondern durch die etwas nicht in ihnen selbst 
liegendes angedeutet werden soll. Zeus hat den Blitz, Apollo den Bogen, um 
ihn, je nachdem die Handlung es erheischt, zu gebrauchen; der Kairos hält die 
Waage, um anzudeuten, dass das Zünglein der Waage stets schwankt; denn, 
wie Welcker passend citirt: 
Auf des (ilückes goldner Waage 
Steht die Zunge selten ein, 
Du musst steigen oder sinken. 
Ein zweites Attribut bedeutet, dass das Glück auf der Schärfe des Scheer- 
messers steht; das lange Haar, dass man die Gelegenheit beim Schopf ergreifen 
muss u. s. w. Allen diesen Beziehungen liegt nicht etwas wirkliches, sondern 
lediglich ein Vergleich zu Grunde. Dieser kann allerdings zuweilen sehr geist- 
reich und schlagend sein. Allein nicht ohne Grund sagt das Sprichwort, dass 
jeder Vergleich hinke; und die Kunst vermag daher auf diesem Wege nirgends 
in sich notlnvendige und dadurch allgemein gültige Formen zu erreichen. ln 
das Lob, welches Callistratus dieser Statue ertheilt, soweit es sich auf die 
Erfindung und nicht auf die Ausführung bezieht, können wir daher nicht ein- 
stimmen. Vielmehr erkennen wir in derselben das Erzeugniss einer unkünst- 
lerischen Reflexion: unkünstlerisch, weil sie die Formen, durch welche die Kunst 
Brunn, Geschichte der griechischen Künstler. 2. Aufl. 17
	        
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