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Die
Bildhauer.
ein Bild der verfeinertsten Sinnlichkeit, gerade so wie er in der Beschreibung
des Callistratus 1) als von Praxiteles dargestellt geschildert wird. Ja auch seine
Begleiter, die Satyrn, welche früher ohne Ausnahme bärtig und mit vielfachen
Zeichen ihrer halbthierischen Herkunft gebildet wurden, folgen ihm in dieser
feineren Entwickelung. Wir brauchen nur jenen vom Flötenspiel ausruhenden,
an einen Baumstamm gelehnten Satyr zu betrachten, von Welchem fast jedes
bedeutendere Museum Nachbildungen aufzuweisen hat, um zu erkennen, wie
hier von jener Abstammung kaum noch ein äusseres Zeichen übrig geblieben,
die frühere Derbheit dem Ausdrucke sinnlicher Lust und sinnlichen Behagens
gewichen ist. Freilich muss ich bei dieser Gelegenheit bemerken, dass ich
351 keinen positiven Grund sehe, diesen Satyr für den Periboötos zu halten; ja ich
kenne nicht einmal ein directes Zeugnis, welches ihn überhaupt dem Praxiteles
beilegte. Doch diese Zweifel mögen gegen die Thatsache zurücktreten, dass
für uns dieser Satyr in der That der Periboetos, der berühmteste unter allen
seines Geschlechts ist, und dass seine ganze Bildung in allen Beziehungen dem
Charakter praxitelischer Kunst entspricht.
Wir haben bisher von dem sinnlichen Reiz der körperlichen Erscheinung
bei Praxiteles nur im Allgemeinen gesprochen. Fassen wir jetzt seine Gestalten
einmal ihrer Anlage, ihrer Stellung nach ins Auge. Wir haben früher auf den
Fortschritt aufmerksam gemacht, welchen Polyklet in dieser Beziehung bewirkte,
indem er das Gewicht des Körpers nur von dem einen der beiden Schenkel
tragen, den andern dagegen ganz unbetheiligt daran erscheinen liess. Praxiteles
ging noch einen Schritt weiter. Er nahm den Füssen ilberhaupt einen Theil
der Last ab, indem er durch das Auflehnen des einen Armes auf einen ausser-
halb der Figur stehenden Träger dem Oberkörper eine neue Stütze verlieh.
Als Beleg für diese Neuerung bietet sich uns zuerst wieder der an einen Stamm
gelehnte Satyr dar, sodann der Sauroktonos. Noch stärker tritt das Princip
derselben in den erwähnten Gruppen des Dionysos hervor, in welchen der Gott
von seinen Begleitern unter beiden Schultern gestützt, ja fast getragen wird.
Ausserdem verdanken wir diesem glücklich erfundenen Motive eine Reihe der
anmuthigsteim Schöpfungen alter Kunst, so die bekannten Gruppen des Silen
mit dem Dionysoskinde, vielleicht Gopien des Satyr, welcher „ploratum infantis
cohibet", in der Curie der Octavia, dessen Urheber Plinius (36, 29) nicht anzu-
geben weiss, der aber von den Neueren, wohl eben wegen des Motives seiner
Stellung, für ein praxitelisches Werk gehalten wird; ferner die jungen flöten-
spielenden Satyrn mit tibergeschlagenem Fusse u. a. m. Das Princip, auf
welchem dieses Motiv beruht, ist nur die weitere Entwickelung desjenigen,
welches dem „uno orure insistere" bei Polyklet zu Grunde liegt. Die Leichtig-
, keit der Haltung wächst nemlich, je geringer das Maass der Kräfte ist, welches
zum Tragen verwendet wird. Indem aber hier dem einen Fusse völlige Ruhe
gegönnt, dem anderen ein Theil der Last durch das Aufstützen des Armes ab-
352 genommen wird, erscheint der Körper zu jeder nach dieser Bube eintretenden
Bewegung oder Anstrengung um so n1el1r befähigt. Der Eindruck, welcher
hierdurch entsteht, ist der eines ruhigen Behagens, wie es vornemlich denjeni-