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Bildhauer.
Lobsprüchen zusammenhalten, welche den Werken eines Phidias, Myron, Polyklet,
selbst eines Skopas ertheilt werden. Da. ist es die Gewalt der Idee, lebendigste
Naturwahrheit, schönstes Ebenmaass, die höchste Begeisterung, was die Bewun-
derung hervorruft. Hier ist es, um es zunächst kurz auszudrücken, die rein
sinnliche Erscheinung, welche durch sich selbst und allein Gefallenerwecken
soll. Die ältere Idee einer Aphrodite Urania war aufgegeben; mit dem Gewande
fiel auch die höhere geistige Auffassung; der Göttin; der Körper gewann eine
selbständige, Wesentliche, ja durchaus überwiegende Bedeutung. Dass die Göttin
dadurch sogleich zu einer Aphrodite Hetaera herabgesunken sei, soll indessen
hiermit keineswegs gesagt sein; ja selbst, wenn der Künstler, wie erzählt wird,
das Bild einer Phryne oder Kratine für seine Statue benutzt hat, dürfen wir
348 dieselbe noch nicht mit Bildnissen dieser Hetaeren verwechseln. Die noch er-
haltenen Darstellungen der Göttin, welche sich mehr oder minder in ihrer Auf-
fassung an Praxiteles anschliessen, z. B. die capitolinische, zeigen nichts von
üppiger Lüsternheit. Vielmehr ist in allen diesen Bildungen streng die Grenze
eingehalten, innerhalb welcher die Darstellung; des weiblichen Körpers in völli-
ger Nacktheit überhaupt gestattet zu sein scheint. Denn da natürliche Schaam
das Weib abhält, sich frei und offen zu zeigen, so sind überall für die Dar-
stellung solche Momente gewählt, in welchen die Göttin sich allein, unbeobachtet
glauben darf. Aber iselbst hier noch spricht sich die Furcht überrascht zu wer-
den in allen Bewegungen, in der ganzen Haltung aus. Dem künstlerischen
Gesetz gemäss ruht zwar der Körper auf dem einen Fusse; aber diese Ruhe
ist keineswegs eine so sichere, dass sie nicht augenblicklich einer Bewegung
zu weichen vermöchte, durch welche die geheimsten Reize der Göttin dem un-
befugten Blicke entzogen würden. Nichtsdestoweniger behauptet in der ganzen
Auffassung die körperliche Schönheit ein entschiedenes Uebergewicht; wir
bemerken überall ein Wohlgefallen an dem sinnlichen Reize des weiblichen
Körpers, an der weichen, zarten Form, wie sich dieselbe durch die Gunst der
Natur gebildet hat, im Gegensatz zu dem Ernste der kräftigen, durchgearbeiteten
Form, welche sich nur durch eine geregelte, angespannte Thätigkeit entwickelt,
Welche nur der Träger eines höheren geistigen Ausdrucks ist. Und dass auch
die Alten schon diesen Gegensatz in seiner ganzen Schärfe empfanden, lehren
jene beiden Epigramme auf die knidische Aphrodite und die lemnische Athene,
in denen Paris ein Rinderhirt gescholten wird, weil er den körperlichen Beizen
der Aphrodite den Preis vor der geistigen Schönheit der Athene zuerkannt habe.
Es fragt sich jetzt nur, ob diese Richtung auf sinnlichen Reiz der Kunst
des Praxiteles charakteristisch ist, oder ob sie sich nur ausnahmsweise an einem
einzelnen Werke zeigt. Das Erstere ist schon deshalb wahrscheinlich, weil
Praxiteles gerade bei der knidischen Aphrodite von allem äusseren Zwange frei,
' nach eigenem Ermessen und von seinem eigenen künstlerischen Gefühle getrie-
ben, diese Auffassung gewählt hatte, wie aus der Erzählung hervorgeht, dass
er sie den Koärn nur neben einer bekleideten zur Auswahl anzubieten wagte.
349 Sodann werden wir hier auch die zahlreichen Wiederholungen dieser Göttin von
der. Hand des Praxiteles in Anschlag bringen dürfen. Unter diesen war aller-
dings eine, eben jene koische, bekleidet. Dagegen wird z. B. das neben der
Phryne zu Tespiae aufgestellte Bild gewiss in der Auffassung sich an das kni-