Volltext: Die Bildhauer (Bd. 1)

Kunst 
griechische 
ihrer 
höchsten 
geistigen 
Entwickelung. 
213 
Blicken wir jetzt auf die Werke der Künstler, welche wir als unter dem 
Einflüsse des Myron stehend bezeichnet haben, so bemerken wir zuerst, dass 
sie ausschliesslich in Bronze gearbeitet waren. Ferner finden wir im Gegen- 
satze zur Schule des Phidias Götterbilder fast nur ausnahmsweise. Der Zeus 
des Lykios war noch dazu der Mittelpunkt einer heroischen Darstellung, nicht 
ein Tempelbild. Die Artemis Soteira des Strongylion scheint minder berühmt 
gewesen zu sein, als die Amazone und der Knabe desselben Künstlers. Ob 
endlich die Minerva musica des Demetrios gerade in ihrer Eigenschaft als 
Götterbild besonderen Ruhmes würdig war, muss zweifelhaft erscheinen, wenn 
wir sowohl den Charakter seiner übrigen Werke, als die Nachricht von den 
tönenden Schlangen am Gorgoneion ins Auge fassen. Das eigenthümliche Ver- 
dienst dieser Künstler zeigt sich vielmehr in dem lebendigen Erfassen bestimmter 
Thätigkeiten und Zustände, wie sie das wirkliche Leben darbietet, und in 
deren vollendeter Darstellung. Deshalb werden nächst den Werken des Myron 
der feueranblasende Knabe des Lykios, der Splanchnoptes des Styppax, der 
sterbende Verwundete des Kresilas, weil in ihnen die Eigenthümlichkeit dieser 
Schule am schärfsten hervortritt, mit besonderem Lobe von den Alten erwähnt; 
und an diesem Lobe haben sogar Werke Theil, welche streng genommen dem 
heroischen Kreise angehören, die Amazonen von Kresilas und Strongylion: 
denn der Vorzug der einen war in der durch die Verwundung herbeigeführten 
Situation begründet; bei der andern war es die schöne Form der Schenkel, 
welche zur Bewunderung hinriss. Fassen wir diesen auf das wirkliche Leben 
gerichteten Charakter der niyronischen Schule ins Auge, so muss uns die 
Erscheinung auffallen, dass Statuen athletischer, namentlich olympischer Sieger 
als XVerke der genannten Künstler, Myron selbst ausgenommen, gar nicht 
bekannt sind; ja es scheint, dass dieser Kunstzweig" von allen attischen Künstlern 
der vorliegenden Periode verhältnissmässig nur in sehr geringem Umfange aus- 
geübt wurde. Denn was wollen der Enkrinomenos des Alkamenes, Pythodemos 
von Deinornenes, Athleten des Mikon und Nikeratos gegen die Masse der übrigen 
KVerke dieser Schule, oder gegen die Reihen von Athletenfiguren argivischer 
Künstler bedeuten? Noch dazu hatten auf einem anderen Gebiete, dem der 
religiösen Kunst, die attischen Künstler in Olympia das vollständigste Ueber- 
gewicht, und sie mussten also nothwendig dort vorzugsweise bekannt sein. 
Wir müssen also die Ursache jener Erscheinung vielmehr in einem inneren 
Grunde suchen, und dürfen ihn vielleicht in der vom Idealismus ausgehenden 
Grundrichtung der attischen Kunst finden, welcher die Darstellung einzelner 
Individualitäten weniger zusagte, vielleicht auch weniger gelang, als die Bildung 
idealer Gestalten. Dass dieser Satz auch auf das eigentliche Portrait seine 
Anwendung findet, lehrt die Bemerkung, welche Plinius der Erwähnung des 
Perikles von Kresilas beifügt: man müsse bewundern, wie hier die Kunst edle 
lllänner noch mehr veredle, was doch nur auf eine ideale Auffassung des Portraits 
bezogen werden kann. Alkibiades ferner ward von den Künstlern mit Vorliebe 
seiner Schönheit wegen gebildet, welche ihn sogar befähigte, das Modell zu 
einem Eros abzugeben. Ein Diitrephes aber, von Pfeilen durchbohrt und 
sterbend (vom Slalanchnoptes gar nicht zu reden), kann kaum noch ein Portrait, 
wenigstens nicht im gewöhnlichen Sinne, genannt werden. Wo hingegen
	        
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