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Bildhauer.
und nach dessen Aehnlichkeit er seine Kunst und seine Hand gelenkt habe.
Dieses Bild ist aber, wie sich im Verfolg der Rede ergiebt, nichts Anderes, als
die platonische Idee, von welcher Plato sagt, sie entstehe nicht, sondern sei
immer vorhanden, und werde ratione et intellegentia, in der Vernunft und der
Erkenntniss, bewahrt. Was es also auch sei, worüber auf methodischem Wege
verhandelt werden solle, (oder, auf unsere Untersuchung angewendet, was in
künstlerischer Weise zur Anschauung gebracht werden soll,) das sei immer auf
die letzte Form und das Urbild (species) seines Genus zurückzuführen. Welches
aber ist diese letzte Form und dieses Urbild eines griechischen Gottes, eines
Zeus, über Welche hinaus nichts Höheres, nichts Vollendeteres gedacht werden
kann? Der Gott ist der Träger eines geistigen Begriffes. Aber, wie Dio Chry-
sostomus den Phidias sagen lasst: kein Bildner oder Maler kann den Geist an
sich darstellen. Wir nehmen daher unsere Zuflucht zu dem menschlichen Körper
als der Hülle des Geistes. Aber der menschliche Körper ist nichts Absolutes,
nichts Vollkommenes; er ist fortwährendem Wechsel unterworfen, er gehört
einem Kinde, einem Greise, einem Manne, einem Weibe an; und in jedem
dieser Alter oder Geschlechter kann er sich einem Absoluten, einer Idee nähern.
Auch die griechische Gottheit ist nicht eine einzige, der Gottbegriff ist in eine
199 Reihe von Begriffen und Persönlichkeiten zerspalten. Die Kunst hat also einer
Reihe von Ideen durch den einzigen menschlichen Körper Gestalt zu verleihen.
Um dies aber zu vermögen, ist es nöthig", dass sie die Natur zum Vorbilde
nehme, nicht in den einzelnen Erscheinungen des Lebens, sondern in den Ge-
setzen ihrer Bildungen. Wir sagten, der Körper sei die Hülle des Geistes; aber
der Geist übt auch seine YVirkung auf den Körper, und dieses Wirken findet
in bestimmten Formen des Körpers seinen beständigen Ausdruck. Nun ist jeder
der griechischen Gottheiten ein bestimmter geistiger Charakter eigenthümlich,
welcher an bestimmten Theilen des Körpers in bestimmten Formen sich offen-
baren muss. Dieser Theil in dieser Form ist Vorzugsweise der Träger der Idee;
und dass er in seiner grössten Scharfe und Bestimmtheit erfasst werde, ist
also die Grundbedingung, durch welche allein die Lösung der künstlerischen
Aufgabe überhaupt möglich wird. Handelt es sich nun schon hier um etwas,
welches zu bestimmen nicht der Willkür des Künstlers überlassen bleiben kann,
sondern um etwas Gegebenes, in sich Nothwendiges, so sind in allen übrigen
Theilen dem Willen des Künstlers noch weit engere Grenzen gezogen. Denn
wo es sich um die Bildung organischer Geschöpfe handelt, ergiebt sich mit
Nothwendigkeit aus der einen Form die andere, aus den einzelnen Formen das
Ganze. Allein in der Welt der einzelnen Erscheinung will freilich, wie Aristo-
telesl) sich ausdrückt, die Natur, d. h. die organische Naturkraft, organisch
wirken, kann aber dieses Ziel nicht erreichen. Sie wird gehemmt und bedingt
durch Zufälligkeiten, welche jedoch nicht das Gesetz der Bildung selbst auf-
zuheben vermögen, sondern häufig noch dienen müssen, dasselbe zu bestätigen.
Der Künstler dagegen, wenn er Ideale, Gestalten, in denen eine Idee verkör-
pert erscheinen soll, bilden Will, darf sich durch alle diese Zufälligkeiten, welche
die Natur in der Wirklichkeit begleiten, nirgends binden lassen; er muss zu