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Die
Bildhauer.
Lippen, der Augen, selbst mit der Todteillolässe einer Jokaste oder der Schaam-
röthe eines Athamas, welche man später einmal in Erz nachzuahlnen suchte 1),
hat es eine andere Bewandtniss, als mit dem Roth der Wangen, Welches ohne
bestimmten Umriss sich sanft verläuft.
Besonderen Ruhm aber erwarb sich Phidias in der Bearbeitung; des Me-
talles auf dem kalten oder trockenen Wege, in der Cisellirung. Denn darauf
müssen Wir die Nachricht des Plinius 2) beziehen: primusque artem toreuticen
aperuisse atque demonstrasse merito iudicatur. Dabei ist natürlich primus
nicht streng wörtlich, sondern in dem Sinne zu verstehen, dass Phidias ,.die
Kunst der Toreutik zuerst offenbar gemacht und gezeigt habe, was sie leisten
könne und solle die Künstler vor ihm also sind abgewiesen, als für den
Maassstab, mit welchem hier gemessen werden soll, nicht geeignet Der
Atlsdrtick toreunia wird vorzugsweise von Geräthen, Bechern, Schalen u. s. w.
mit Reliefverzierungen gebraucht, und toreumata des Phidias in diesem Sinne
193 haben wir aus Martial und Julian früher angeführt. Um uns aber ein be-
stimmtes Bild von dieser Thätigkeit des Phidias in ihrem Verhältnisse zu seinen
grossen Schöpfungen zu entwerfen, erinnere ich an einen Künstler der neueren
Zeit, an Benvenuto Cellini: er arbeitete im Kleinsten, Schaalen, Becher, Agraffen,
Figürchen an Nadeln zur Befestigung der Hutkrämpe, wie Phidias „die Cicade
am Schopf"; aber gerade diese Kenntniss war ihm gewiss von wesentlichstem
Nutzen, als es galt, an den Perseus durch Gisellirnng die letzte Hand anzulegen.
Die Arbeit war die gleiche, nur der Maassstab war verschieden. Im Gegen-
satze hiermit hat man in neuerer Zeit auch die Werke des Phidias toreutische
genannt, welche aus Gold und Elfenbein zusammengesetzt waren, ohne jedoch
für diese Anwendung des WVortes hinlängliche Belege beizubringen. Hier ist
zunächst nur ein Punkt zuzugeben: dass sich nemlich an diesen Werken eine'
ganze Reihe toreutischer Arbeiten befand, die Relieffigjuren am Throne und
Schemel des Zeus, die Reliefs am Schilde und an den Sohlen der Parthenos.
Allein dies waren Parerga, welche noch nicht das Hauptwerk zu einem Toreuma
machen. Denken wir an die historische Entwickelung dieses Kunstzweiges
zurück, so finden wir, dass die Werke aus Gold und Elfenbein vielmehr an die
Stelle der alten Xoana treten; und Xoana nennt in der That Strabo 4) den Zeus
des Phidias, wie die Hera des Polyklet. Dass auch Plinius in der angeführten
Stelle ilicht von Arbeiten in Gold und Elfenbein, sondern von Erzarbeit spricht,
ergiebt sich mit Bestimmtheit aus dem Zusammenhangs, in dem seine Worte
mit den später folgenden Urtheilen über andere Künstler, besonders Polyklet,
stehen
Den Glanzpunkt der technischen Meisterschaft des Phidias bilden freilich
die Kolosse aus Gold und Elfenbein. Denn sie verlangen ihrer Natur nach eine
umfassende Kenntniss aller Zweige der künstlerischen Technik. Hier musste
Phidias mehr als je auch Werkmeister sein und die Hände der verschiedensten
Handwerker für seine Zwecke zu laenutzen verstehen. Leider sind wir nicht
hinlänglich unterrichtet, um uns ein vollständiges Bild der mannigfaltigen Thätig-
1) Vgl. unter Silanion
(iesellsch. 1850, U, S. 129.
und Aristonidas.
f) VIII, p. u.
2) 34,
372
3) Jahn- in den
darüber Jahn a.
sächs.