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LEBEN DES MICHEL
ANGELO
BUONARROTI
guter Wille werde angenommen werden, dieweil er nichts
Anderes geben könne. Aber deshalb weigert er sich nicht, so
weit seine Kräfte reichen, und in den Dingen, worin er etwas
vermag, sein Leben an den Dienst desselben zu setzen, ge-
schweige denn etwas Anderes, und dies habe ich aus seinem
Munde. Nichtsdestoweniger machte Michel Angelo auf Verlangen
Seiner Heiligkeit eine Zeichnung zu der Front eines Palastes,'
den er in Rom zu erbauen Willens war, ein für Jeden, der es
sieht, LIHgGWÖlIIIllClICS und neues Ding, tinabhängig von jeglicher
antiken oder neuen Art und Regel. S0 hat er es auch noch in
vielen anderen seinen Sachen gemacht, in Florenz und in Rom,
und damit gezeigt, es sei die Baukunst von den Früheren nicht
so erschöpfend behandelt worden, dass kein Raum mehr da sei
zu neuen, nicht weniger anmuthigen und schönen Erfindungen.
LX. Um nun zur Anatomie"! zurückzukehren, so hat er
das Zergliedern der Körper ziufgegelwen, weil das lange Han-
thieren damit ihm dermassen den Magen verdorben hatte, dass
er weder etwas essen noch trinken konnte, das ihm anschlug.
Es ist allerdings wahr, dass er sich von dieser Materie so gelehrt
und bereichert trennte, dass er oftmals im Sinne hatte, zum
Gebrauche tierjcnigen; die sich der Sculptur und Malerei widmen
wollen, ein Werk zu schreiben, das von allen Arten der
menschlichen Bewegungen und Stellungen handelte, und von
den Knochen, nach einer sinnreichen Theorie, die er durch lange
Praxis gefunden hatte; und er würde es geschrieben haben,
wenn er nicht seinen Kräften misstraut und sich für Llnzuliinglich
gehalten hätte, eine derlei Sache mit der Würde und der Zier-
lichkeit zu behandeln, wie es ein in der Wissenschaft und in
der Rede Geübter thun würde. Ich weiss wohl, dass er den
llis ist nicht bekannt, für Welchen Palast die Facade des Michel
Angeln bestimmt war, noch 0b die Zeichnung dieser Facatic noch existirt.
2 Die in diesem Capitel genwachten Bemerkungen CondivPs über die
anatomischenStudien Michel Angela's ergäinzeit das, was bereits früher in
den Cap. Xlll. und LVI. gesagt wurde; sie sind sehr bezeichnend tlir die
Richtung, in der damals anatomische Studien betrieben wurden.
Von Michel Angele existiren in mehreren Handzeichnungs-Samnvlungen
anatomische Studien, die auf Vorbereitungen zu einer literarischen Arbeit
sehliessei] lassen; erschienen selbst ist nichts. Ebensoweiiig ist die von Coni
divi am Schlusse des Capitels angekündigte Arbeit verötlentlicht worden.