ANG ELO
LEBEN DES MICHEL
BUONARROTI.
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sich in ihr erhielt, auch dadurch glaublich wird, dass durch gött-
liches Zuthun bewirkt wurde, der Welt die Jungfrätilichkeit und
beständige Reinheit der Mutter zu bezeugen. Und das ist beim
Sohne nicht nothwendig gewesen, sondern eher das Gegen-
theil, sintemal gezeigt werden sollte, dass der Sohn Gottes den
wirklichen Leib des Menschen anzunehmen hatte, wie er es
that, und allem dem Llnterworfen zu sein, dem ein gewöhnlicher
Mensch unterliegt, ausser der Sünde; daher war es nicht noth-
wendig, durch das Göttliche das Menschliche zurückzudräingen,
sondern dieses in seinem Lauf und Ordnung zu lassen, so dass
es jenes Alter aufwies, das es gerade hatte. Deshalb hast du
dich nicht zu verwundern, wenn ich aus dieser Rücksicht die
allerheiligste Jungfrau, die Mutter Gottes, im Vergleich zum
Sohne viel jünger gemacht habe, als es jenes Alter gewöhnlich
verlangt, dem Sohne aber sein Alter liess." Eine Betrachtung,
jedes Theologen würdig, und an einem Andern vielleicht erstaun-
lich, nicht aber an ihm, den Gott und die Natur gebildet haben,
nicht bloss um mit der Hand Einziges zu leisten, sondern der
jedes göttlichen Gedankens fähig ist, wie dies nicht nur aus
Gegenwärtigem, sondern aus so vielen seiner Bemerkungen und
Schriften sich erkennen lässt. Es mochte Michel Angelo, da
er dies Werk machte, 24 oder 25 Jahre haben. Er erwarb
sich durch diese Arbeit grossen Ruf und Reputation, der-
massen, dass es bereits die Meinung denWelt war, dass er
nicht nur jeden Andern seiner Zeit und der vor ihm weit über-
hole, sondern dass er sogar mit den Alten wetteifere.
XXI. Nachdem diese Sachen fertig waren, war er durch
seine häuslichen Angelegenheiten genöthigt, nach Florenz zurück-
zukehren, woselbst er ein wenig verweilte und jene Statue
machte, die bis heutigen Tages aufgestellt ist vor dem Thor des
Palastes der Signorie am Ende der Vorhalle und die von Allen
der Gigantl geheissen wird, und es ging diese Sachexfolgender-
1 Der "Gigant" ist die Marmorfigur des David, welche auf dem von
Cronaco und Antonio daiSangallo entworfenen Postamente vor dem Palazzo
della Signoria steht. In diesem Jahre wird diese Kolossaliigur nach der Akademie
der schönen Künste übertragen, um dieselbe in einem bedeckten Raume
vor den Unbilden der Witterung, die sich schon in sehr betienklichem Grade
bemerkbar gemacht haben, zu schützen. Ein Bronze-Abguss des David wird