MICHEL
LEBEN DES
ANGEI
,O BUONARROTI.
winkend, liess er ihm tausendfachen Schimpf anthun; und sein
Kanzlerf der später Cardinal von Bibbiena wurde, sagte ihm:
„Du bist ein Narr! Wem glaubst du, dass Lorenzo mehr wohl will,
seinem Sohne oder dir? Wenn dem Sohne, Würde er, falls es
so stünde, nicht eher ihm erscheinen als sonst Jemand?" Nach-
dem sie ihn so verhöhnt, liessen sie ihn laufen. Dieser nun
kehrte nach Hause zurück, und indem er sich bei Michel Angelo
beklagte, sprach er ihm so nachdrücklich von der Vision. dass er,
die Sache für gewiss haltend, von da ab in zwei 'l"agen mit zwei
Begleitern Florenz verliess und nach Bologna und von dort nach
Venedig ging, aus Furcht, dass, wenn das, was der Cardiere vor-
hersagte, wahr würde, er dann in Florenz nicht sicher sein möchte.
XV. Aber in wenigen Tagen von da ab, aus Mangel an
Geld (dieweil er die Begleiter freihielt), dachte er, nach Florenz
zurückzukehren; und als er nach Bologna gekommen war, er-
eignete sich ihm folgender Fall. Es gab in jenem Gebiete, zur
Zeit des Herrn Giovanni Bentivogliof ein Gesetz, dass jeder
Fremde, der in Bologna einzog, auf dem Nagel des Daumens mit
rothem Wachs gesiegelt sein sollte. Da nun Michel Angelo un-
bedachtsamer Weise ohne das Siegel eingezogen war, wurde
er mitsarnmt den Genossen auf das Zollamt geführt und zu
50 Bologneser Lire verurtheilt; da er diese zu zahlen die Mittel
nicht besass und so in der Amtsstube stand, bemerkte ihn dort
ein Herr Gianfrancesco Aldovrandi, ein Bologneser Edelrnannfs
1 Der Cancellier ist Bernardo Divizio, später Cardinal di Bibbiena, geb.
zu Bibbiena 1470, gest. 1520, begraben in der Kirche Araceli. Er war Secretär
des Lorenzo und später des Cardinals Giovanni Medici, der ihn als Leo X.
zum Cardinal von S. Maria in Portico und Protonatario Apostolico erhob.
Seine Beziehungen zu Rafael sind bekannt. Das Original-Porträt Bilabienak
von Rafael befindet sich im Museum zu Madrid. (S. Passavanfs ,.Rafael von
Urbino", Band III, pag. x23.)
2 Giovanni Bentivoglio, der Sohn des Annibale Bentivoglio, ein Gönner
und Freund der Gelehrten und Künstler wie Lorenzo Medici, regierte Bologna
durch 44 Jahre, bis ihn Papst Julius II. 1506 vertrieb. Er ging nach Mailand
und starb daselbst 1508.
3 Den Gianfrancesco Aldovrandi erwähnt auch B. Varchi in der
Leichenrede auf Michel Angele (l. c. p. 28) als einen Bologneser Edelmann,
welcher die Figuren in Marmor auf dem Grabmale des heil. Domenico be-
stellte und Michel Angele in der GeldnOth vrährend seines Aufenthaltes in
Florenz beisprang.