LEBEN
DES M ICHEL
ANGELO BUONARROTI.
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Jesus Christ am Kreuze, nicht mit dem Aussehen eines Todten,
wie es gewöhnlich geschieht, sondern in göttlicher Haltung, das
Gesicht zum Vater erhoben, und es scheint, dass er sagt „Eli,
Eli!" und man sieht daselbst diesen Körper, nicht wie einen sich
selbst überlassenen Leichnam hinsinken, sondern einem Leben-
digen gleich, ob der grausamen Schmerzen erschaudern und
sich krummen.
LXIV. Und gleich wie er sich ergötzt hat an dem Gespräche
gelehrter Männer, so hat ihm auch die Lectüre Freude gemacht,
sowohl der Schriftsteller in Prosa als derer in Versen, unter
denen er insbesonders den Dantel bewundert hat, ergötzt von
dem wunderbaren Geiste jenes Mannes, den er fast ganz aus-
wendig weiss, obwohl er den Petrarca vielleicht nicht weniger
inne hat, und er hat sich nicht bloss damit ergötzt, ihn zu lesen,
sondern manchmal auch selber zu dichten, wie man es auch
aus einigen seiner Sonetten ersieht, die eine sehr gute Probe
abgeben von seinem grossen Verstand und seiner Erlindungsgabe;
über einige derselben sind etliche Reden und Betrachtungen des
Varchiz erschienen. Aber damit hat er sich mehr zu seinem
1 Dante gehört zu jenen Dichtern, die auf Michel Angelo einen be-
stimmenden Einüuss gehabt haben. Petrarca ahmte Michel Angele in seinen
Sonetten nach, wie alle seine Zeitgenossen es gethan haben. Gori'führt in
seinen Noten" zu Condivi (pag. 112- 1 I4) das lateinische Document an, welches
die liorentinische Akademie wegen Ueberführung der Gebeine Dante's von
Ravenna nach Florenz an Leo X. richtete. Michel Angele, Mitglied dieser
Akademie, unterzeichnete diese Supplik mit den Worten: „J0 Michelagniolp
schultore il medesimo a Vostra Santitä supplicho, offerendomi al divin poetä
fare vla sepultura sua cihondecente e in loco onerevole in questa citta." Der
Bildhauer Ant. Montanti besass ein Exemplar von Dante's Divina Commedia,
das Michel Angele mit Randverzierungen schmückte. Das Exemplar ging
leider bei einem Sichiffbruche verloren. (Vasari Xll, pag. 217, A. 3.)
2 Benedetto Varchi, geb. zu Florenz 1502, gest. am 18. December 1565,
einer der vorzüglichsten Historiker und Humanisten Italiens. Er stand in
nahen Beziehungen zu Michel Angele. Im Jahre 154g erschienen bei
Lorenzo Torrentino in Florenz seine "Due lezioni", nella prima delle quali si
dichiara un sonetto del Michel Angele die erste der beiden Reden, welche
das Sonett „N0n ha l' ottimo artista alcun concetto" behandelt, ist oft wieder
abgedruckt worden. Sie wurde 154.6 in der Florentiner Akademie gehalten.
Die zweite Rede wurde an demselben Orte und in demselben Jahre gehalten.
Sie behandelt das damals beliebte Thema Vdella maggioranza dcil" arti, et