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Peter Paul Rubens:
Der Meister und seine Kunst.
tung, in der Auffassung und Behandlung dem grossen Meister
der Bühnendichtung, der ja auch sein Zeitgenosse war, nahe
verwandt ist.
Rubens ist der Shakespeare der Malerei. Und dieser Ver-
gleich kann als ein wesentliches Mittel dienen, um richtig in
das Verständniss des Malers einzudringen. Denn mit dem-
selben treten wir mitten in den Kern der Rubensischen
Kunstweise. Was ist deren Wesen? Wahrheit und wiederum
Wahrheit, selbst bis zur Harte, Leben und Bewegung bis zur
höchsten dramatisehen Spannung, bis zur Hüchtigsten Er-
scheinung des Augenblicks. Die Leidenschaften in Bewegung
und Ausdruck, die lebenden Organisationen in der fiüchtigsten
Bewegung konnte Rubens mit unvergleichlich sichrem Auge,
mit einem einzigen Blick auffassen und das Gesehene in un-
nachahmlicher Richtigkeit und Wahrheit wiedergeben. Er
wusste die Natur wie auswendig und die Darstellung war
ihm wie ein Spiel. Ein erstaunliches Lebensgefühl hat er be-
sessen, das in seinen Werken bald kräftig, überströmend und
selbst ausartend, bald jedoch auch gemässigt, feiner und selbst
zart zum Ausdruck gelangt. Ein besonders geeignetes Bei-
spiel der Aeusserung solcher überquellenden Lebenskraft
dürfte wohl die wilde „Kirmess" in Paris (N0. 462) sein, die
zugleich so schnell und geistreich gemalt ist. Beispiele für
den gemässigteren Ausdruck dieses Lebensgefühles findet man
fast in allen Sammlungen. Und dies Lebensgefühl tbesass
Rubens als Künstler, weil er es als Mensch hatte, auf diesem
Lebensgefühl, in der seltensten und wunderbarsten Unmittel-
barkeit, beruhte im letzten tiefsten Grunde das Wesen seiner
Kunst.
So ist denn dieser von dem reichsten Künstlergeiste, der
gestaltungsfähigsten Phantasie und der gewandtesten Technik
getragene Realismus das eigentliche Charakterzeichen der
Rubens'schen Kunst. Der Zeit und der Lebensstellung des
Künstlers entsprechend laufen da eine Menge Elemente, die
dem klassischen Kunstbegriffe widerstreiten, mit ein: voran
jene Grässlichkeiten und jene Jesuitenwunder; dann aber auch
die Neigung für die Allegorie und deren Vermischung mit
der Geschichte und dem Leben, die Kühnheit des Gedankens,