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Peter Paul
Rubens:
Der Meister und seine Kunst.
letzteren auch gewiss noch zahlreiche unechte Gemälde sich
befinden, so wird dieser Umstand dadurch ausgeglichen, dass
auch eine Menge echter Rubensscher Werke untergegangen
sind. Bei dem Brande der Jesuitenkirche in Antwerpen im
Jahre 1718 gingen allein 36 grosse Altarbilder zu Grunde; in
Madrid kann man den Verlust von 63 Gemälden nachweisen,
die ehedem im Besitze des Königshauses sich befanden. 1) Und
ausserdem ist doch auch manches einzelne Werk umgekommen
und verschollen. Bleibt man also bei der runden Zahl von
1000 Bildern stehen und berücksichtigt man, dass Rubens etwa
40 Jahre selbständig gearbeitet hat, so ersieht man, dass auf
jedes Jahr 25 Bilder, auf jede 14 Tage ein Bild entfällt. Da
nun aber Rubens selbst sagte, dass die blosse Wiederholung
des Altarbildes für die Chiesa nuova in Rom, ihn, da er keine
neuen Studien zu machen brauchte, „höchstens ein paar Mo-
nate" in Anspruch nehmen WürdeY), so ist einleuchtend, dass
bei Herstellung jener rooo Bilder eine Menge fremder Hände
beschäftigt gewesen sein müssen. Diese Thatsache wird auch
dadurch nicht wesentlich abgeschwächt, dass manche kleine
Arbeit, die in obiger Ziffer rnitzählt, namentlich mancher Ent-
wurf nur in einem oder mehreren Tagen hergestellt sein mag,
denn dagegen stehen eben grosse Arbeiten, die sehr viel Zeit
erforderten.
Bei genauerer Betrachtung einer grösseren Zahl dieser
Bilder wird einem Jeden wohl auch der Unterschied zwischen
den Originalarbeiten von Rubens und den Werkstattsbildern
ersichtlich werden, und er wird dann Enden, dass Rubens in
den eigenhändigen Arbeiten durchgehends der geistreiche und
gewissenhafte Maler blieb, der er von Anfang her war. Dies
gilt nicht nur von den Entwürfen und Studien, sondern auch
von den grossen Gemälden, die er noch allein ausführte, wie
das ganz schlagend die selbst aus den letzten Jahren seines
Lebens stammenden Werke, die „A1leg0rie auf den dreissig-
jährigen Krieg" im Palast Pitti zu Florenz (N0. 86) und die
1) Cruzada Villaanmil, Rubens diplomatico espaöol. S. 306 H".
Y) „ . . in un par di mesi . . " Brief an Chieppio in Mantua.
Gazette des beaux arts. 1868. XXIV. S. 484. Vergl. oben S. 279 H.