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Peter Paul Rubens: Der Meister und seine Kunst.
Wirkungen alle mit einer Ureigenheit und Freiheit aufnahm,
wie wir sie nur bei sehr wenigen, ganz ausserordentlichen
Geistern wahrnehmen. Sein Charakter ist von Natur so um-
fassend und so sicher, dass er wohl entwickelt und gebildet
werden konnte, aber doch immer derselbe blieb, der seine
unverkennbaren Stempel auf jedes Gebilde von der Hand des
Meisters drückte.
Soll man es im Einzelnen bezeichnen, was Rubens in
Italien gewann, so fällt vielleicht zuerst die geläuterte Formen-
gebung besonders in den Köpfen auf, die das Studium der
klassischen Vorbilder so klar erkennen lässt. Und daneben
macht sich die durchaus fertige und eigenthümlich vollendete
Behandlu ngsweise in allen technischen Stücken der Malerei
geltend. Aber auch hier ist er nirgends Nachahmer. Seine
Palette schon setzt Rubens auf sein e Art zusammen, und seine
Malerei, in ihrem heiteren Glanze, in ihrem hellen Lichte,
ihrer feinen Stimmung von Ton und Farbe, vor. allem aber
zugleich in ihrer wunderbaren Lebenswahrheit auf jeder
kleinsten Stelle wie im Ganzen, hatte vor ihm und hat
nach ihm ihres Gleichen nicht. Ein kundiges Auge wird
auch hier die Früchte des Studiums der grossen Koloristen
Italien's erkennen, wenn auch der Auftrag seiner Farben ganz
ungleich dünner ist als bei Tizian und die Anwendung seiner
Lasuren unvergleichlich ausgebildeter erscheint als bei diesem;
diese Behandlung findet sich, wie wir zur Vermeidung von
Irrungen bemerken, nicht gleichmässig dauernd bei allen
Bildern des Meisters, vielmehr zeigen die späteren in der Regel
einen stärkeren und derberen Auftrag der Farben, ohne dass
dadurch die wunderbare Leichtigkeit der Pinselführung, die
ihm eigen war, beeinträchtigt worden wäre.
Auch hinsichtlich der Komposition seiner Bilder, dem
Aufbau und der Anordnung derselben, sehen wir ihn hier
schon das Prinzip fest ergreifen, dem er stets treu bliebÄ Es
ist das Prinzip, welches bereits im fünfzehnten Jahrhundert
namentlich in Venedig sich ankündigte, dem hie und da schon
ein Rafael huldigte, welches zum Theil schon bei Tizian, bei
Michelangelo sehr wirksam ist, welches die Caracci, wenn auch
in ihrer lehrhaften Art, besonders begünstigt hatten, und das