320
Peter Paul Rubens:
Der Meister und seine Kunst.
Dasein verzeichneten. Auf diese Ziele hatten das Akademien-
thum und der Naturalismus schon hingewiesen, als sie zuerst in
Italien auftraten. Dass sie diese Ziele in Italien selbst nicht
erreichten, ist bekannt. Wir brauchen die Gründe hiervon
nicht zu untersuchen. Aber sie erreichten diese Ziele in den
Niederlanden, in Rubens. Und so ist Rubens eine Gestalt,
deren Erscheinen geschichtlich schon lange vorbereitet, deren
Auftreten ein nothwendiges war. Auch ist nicht zu über-
sehen, dass der grossartige Zug von lebensvollstem Realismus,
der Rubens eigen ist und der ihn charakterisirt, in der nieder-
ländischen Malerei seit den Eyck's schon vorgebildet war.
Allerdings ist die treueste Wiedergabe des Lebens mit allen
Zufälligkeiten und kleinen Besonderheiten der Wirklichkeit,
der Natur mit allen Fältchen, Pickeln und Runzeln, bei den
Eyck's und deren Schülern mit einem hohen Ernste und strenger
Kirchlichkeit gepaart, aber sie bezeugt doch eben den Sinn
für die Beachtung und Auffassung der gegebenen Wirklichkeit
in Leben und Natur, der dann sich mannigfach umbildete,
der wuchs und auch zurückgedrängt wurde, und der- endlich
in Rubens zu einer vorher nie geahnten Höhe aufblühte.
Diese Vollendung des Realismus in Rubens ging Hand in
Hand mit der völligen Durchführung des malerischen
Prinzip es in der vlämischen Schule. Auch hier liegen die
Anfänge der Entwickelung bei den Eyck's, aber so bedeutend
sie sind, so sehen wir sie doch an den überkommenen zeich-
nerischen Vortrag gebunden. Erst in Rubens wurde diese
Ueberlieferung völlig abgestreift und eine im eigentlichen Sinne
malerische Behandlungsweise errungen. Diese aber, ihrem
ganzen Wesen nach, steht in innerer Wechselbeziehung mit
jener realistischen Gesammtrichtung. In diesen beiden Hin-
sichten also darf man kunstgeschichtlich Rubens als einen
echt national-vlämischen Künstler, als den Meister der vlä-
mischen Malerei ansehen.
Die Jugendjahre von Rubens waren einfach und, soweit
wir sehen können, regelmässig dahin gefiossen. Wohl noch vor
Ablauf seines ersten Lebensjahres verlegten seine Eltern ihren
Wohnsitz von Siegen nach Köln, wo er die erste Erziehung
erhielt. Im Anfange des Jahres 1589, nachdem der Vater in-