Die Niederlande zu Rubens Zeit.
Zustand der Malerei.
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sam und dann weitere zwölf Jahre noch die Infantin allein
über das ihnen zu Lehn gegebene Land. Die Gemüther be-
ruhigten sich und versöhnten sich mit dem Geschick des Lan-
des. Die Gewerbthätigkeit regte sich wieder und die innere
stattliche Ordnung wurde neu befestigt. Der glanzvolle Hof
in Brüssel zog die bedeutenderen Geister an sich und pflegte
mit Vorliebe die Kunst und deren Träger. Die spanischen
Niederlande boten damals das Bild einer wiedererstehenden
kräftigen Nation. und nur in diesem Sinne richtig aufgefasst,
wird man den neuen Aufschwung, den die Malerei nun nahm,
als mit den Gesetzen der Geschichte übereinstimmend verstehen
können.
Wie sehr aber innerlich seit beinahe zweihundert Jahren
ein solcher Aufschwung vorbereitet und angezeigt war, wie er
auch im engeren, rein kunstgeschichtlichen Betrachte als etwas
Nothwendiges in die Erscheinung trat, geht aus dem bis-
herigen Gange der niederländischen Malerei deutlich
hervor. Wir haben eine Darstellung des letzteren während des
sechszehnten Jahrhunderts in diesen Blättern (S. 1-51) selbst
versucht, und haben auch dort bereits hervorgehoben, dass in
den beiden Lehrern von Rubens sich der Zustand der vlämischen
Malerei am Schlusse des sechzehnten Jahrhunderts gleichsam
verkörpert zeigt, dass aber Rubens die Richtungen beider
Männer versöhnt und sich in einer neuen Richtung glanzvoll
und mächtig über sie erhebt-
Man darf die Frage aufwerfen, "ob es möglich gewesen
wäre, dass Rubens einer der beiden Richtungen, die vor ihm
die vlämische Kunst beherrschten, sich hätte unmittelbar an-
schliessen können? Um ein Naturalist in der Art des Adam
van Noort und dessen italienischer Vorgänger zu werden,
war er zu fein und zu klassisch gebildet; um ein Akademiker
im Rahmen der Caraccfschen Vorschriften nach Art des
Otto van Veen zu werden, war sein Genius zu umfassend.
Auf beiden Bahnen hätte er nur ein Nachfolger sein können.
Seine eigene gross angelegte Natur drängte ihn auf andere
Ziele, auf Ziele, die höher lagen als jene beiden Richtungen,
die über jenen beiden Richtungen eine Versöhnung der beider-
seitigen Prinzipien vollzogen und einer neuen Richtung das