Da nun die Vita lediglich als eine stark gekürzte Bearbeitung
der Vie mit einigen unbedeutenden Zusätzen erscheint, so kann
sie keinen Anspruch auf Urkundlichkeit erheben. So muss
man wenigstens schliessen in Anbetracht des Umstandes, dass
die Molslsche Abschrift die Vita nur bis zum Jahre 1771
zurückleitet. und dass der Ursprung der Vita danach gänzlich
im Dunkeln liegt.
Nur eine Möglichkeit giebt es, der Vita eine Urkundlich-
keit beizumessen, diese aber hat Reiffenberg selbst zerstört.
Wenn man nämlich, wie über der Mols'schen Abschrift steht,
annimmt, dass die Urschrift der Vita von Gevaerts herrührt,
so kann sie nicht aus der Vie de Rubens bei de Piles ge-
schöpft sein, da diese erst 1676 entstanden, Gevaerts aber schon
1666 gestorben ist. Sie kann dann nur denselben Quellen
entnommen sein, aus denen Bellori und de Piles bedient
wurden, nämlich den Rubenslschen Familienpapieren, die
selbstverständlich Gevaerts offen standen. Ich wage es nicht
über diese Möglichkeit, welche an und für sich durchaus zu-
lässig und selbst wahrscheinlich ist, ein Urtheil abzugeben.
Aber selbst bei der Annahme, dass Gevaerts der Verfasser sei,
müssen Aenderungen seitens der Abschreiber zugestanden
werden, wie denn der Ausdruck „clarissimus Gevartius" (S. n)
nicht von ihm selbst herrühren kann; auch dass die Grab-
schrift nach der Paryschen Erneuerung gegeben und dass der
alte Widmungszusatz fehlt, ist bedenklich. Es würde also
auch in dem Falle, dass die Urschrift von Gevaerts herrührte,
die Vita, so wie sie jetzt vorliegt, kaum einen Anspruch auf
Urkundlichkeit erheben können. Ich wüsste auch nicht abzu-
sehen, welchen Werth, als geschichtliche Quelle, sie neben der
Vie de Rubens beanspruchen oder behaupten könnte.
Ausser der Vita wird hier auch jener kleine Lebensabriss
des Rubens zu berühren sein, welcher dem von de Piles
herausgegebenen „Abrege de la vie des peintres etc." ein-
verleibt ist. Die erste Ausgabe dieses Buches, von 169g, habe
ich leider nicht erlangen können, und so muss ich mich an
die zweite, von 1715, halten. In dieser Ausgabe umfasst die
Rubenssche Lebensbeschreibung 248 kleine Zeilen, und sie
giebt sich als ein Auszug aus der Vie zu erkennen, der ziem-