Anklagen gegen die Wittwe von Rubens.
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Kindern zu seinem Andenken gestiftet worden ist". Parys
hatte ja hingesetzt, dass die Grabschriit „bis jetzt (1755) von
den Nachkommen verabsäumt" worden sei, und hier werden
in derselben Grabschrift die Wittwe und die Kinder als Stifter
klar und deutlich genannt! Waagen verweist auf de Piles und
Basan, wo die Grabschrift im Original zu finden ist. Wir
werden hierauf zurückkommen.
Alfred Michiels (S. 363) schiebt alle Schuld der Verab-
säumung der Wittwe allein zu, indem er sagt: „Bald nach
dem Tode des Künstlers wieder verheirathet, hatte die Frau
andere Dinge im Kopfe: sie überliess sich gänzlich den Freuden
einer zweiten Liebe".
Aehnlich, wenn auch schonender, liess sich schon H asselt
(S. 178) aus: „Die Wittwe von Rubens beging die Schwäche
den schönen Namen, welchen sie trug, gegen den einer Gräfin
van Bergeyck zu vertauschen".
Verweilen wir einen Augenblick bei diesen harten Urtheilen
über Helene Rubens.
Frau Helene Rubens war beim Tode von Rubens
26 Jahre alt, und sie verheirathete sich wieder nach fünfjähriger
Wittwenschaft im Alter von 31 Jahren. Aus dieser Handlungs-
weise kann und darf ihr Niemand auch nur den geringsten
Vorwurf machen. Soll eine junge, lebenskräftige Frau von
3x Jahren, nachdem sie fünf Jahre der Wittwenschaft dem
Andenken ihres ersten Gatten gewidmet hat, nicht dasRecht
haben, ihre Hand einem zweiten Manne zu reichen? Ist sie
ohne Weiteres darum zu lebenslänglicher Wittwenschaft ver-
urtheilt, weil ihr erster Gatte ein "berühmter Mann" war?
Aber es ist sehr bequem, aus dieser zweiten Heirath Vorwürfe
zu erheben und dem neuen Verhältnisse Verabsäumungen
gegen das Andenken des ersten Mannes zur Last zu legen.
Und da diese Verabsäumungen nach dem Zeugniss von Parys
stattgefunden haben, so darf man auch nach den Gründen
suchen. Und diese Gründe wiederum liegen offenbar eben
in der neuen Heirath. Namentlich Alfred Michiels weiss das
S0 genau, als ob er der Beichtvater von Helene Rubens ge-
Wesen wäre. Aber man übersieht bei solchem Verfahren so
gut wie Alles.