Potten
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welches den Namen „der junge Stier" trägt. Dieses hoffnungs-
volle Rindvieh ist die Hauptperson des Bildes: es steht auf-
recht in Lebensgrösse da und wendet den Kopf gegen den
Beschauer. Neben ihm liegt eine Kuh, und ein Hirt lehnt
sich gegen eine Eiche. Im Vordergrunde wie in dem weiteren
Hintergründe sind andere Thiere zur Belebung der Fläche
angebracht: ein Bild so recht aus dem Weideleben Hollands
herausgegriffen, und mit einem solchen Scheine körperlicher
Wirklichkeit auf die Leinwand hingezaubert, dass man betroffen
ist. Aber man KYlfCl zur Bewunderung hingerissen, wenn man
bemerkt. wie die eigenthümliche Beleuchtung und die Stimmung
des Ganzen mit Entschiedenheit das Gefühl geben, dass hier
Kunst und nicht Wirklichkeit ist. „Der Schein soll nie die
WVirklicltkeit erreichen". Die Wahrheit dieses Dichterwortes
emptindet man hier so recht lebendig, und doch ist Alles
so wirklich und so itatfirliclt. Dieser Potter war in der That
ein grosser Künstler. und hier kann man die Geheimnisse der
realistischen Malerei als Kunst zu begreifen suchen. In der
blossen Naturwahrheit und Natürlichkeit an und für sich be-
stehen diese Geheimnisse nicht. NVer will hier die Natur
erschöpfen oder auch nur erreichen? S0 gross die Naturwahr-
heit in den Werken der Holländer ist, Wie wenig kommen sie
doch der Natur wahrhaft gleich? Man lege einen frisch ge-
triebenen Grashalm aut die hellste VVlCSCHiIHSlChtl Man stelle
ein lebendes Gesicht neben ein gemaltes! Nur sehr wenige
Bilder werden hier wirklich eine ähnliche Mannigfaltigkeit,
Frische, Lichtstärke und Lebendigkeit zeigen. wie die Natur
sie hat. Aber ivas ist alle realistische Kunst, wenn nicht
Wiedergabe des Lebens. des vollen, warmen und ganzen
Lebens. Alles Andere wird, wenn es auch Gegenstände der
belebten Natur recht „natürlich" darstellt, mehr oder weniger
ivnftufe morte". Hier ist die Wurzel jener Geheimnisse. Wie
Wenlge haben sie erkannt und wie Viele denken, schon durch
blosse Nachmacherei der Natur künstlerische Realität zu er-
reichen: den vollen Schein der lebendigen Wirklichkeit, um-
woben und durchgeistigt von malerischen Stimmungen, und
zugleich durchgeführt mit dem feinsten Sinn für Charakteristik,
also für den Ausdruck von Temperament, Stimmung, Charakter.