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DIE FLORENTINISCHE SCULVTUR VOR DONATELLO.
wie im Ausdruck der Empfindung wahr, natürlich und mensch-
lich, bald heiter scherzend, lächelnd, träumend, bald leiden-
schaftlich erregt darzustellen.
Wir wollen hier des Zusammenhangs wegen in Kürze die
wichtigsten Daten aus Niccolo's Leben und Wirken bis zum
Auftreten der Renaissance-Koryphäen zusammenfassen, indem
wir zugleich auf die aulsführlichere Darstellung in einer unserer
früheren Schriften als Ergänzung hinweisen. Was Niccolö's
Thätigkeit im Anfang des 15. Jahrhunderts betrifft, so ist die-
selbe bereits so mit dem Wirken seiner Schüler und jüngeren
Rivalen verflochten, dass wir es für besser halten, später wieder
darauf zurückzukommen.
Niccolo d' Arezzo war nach Vasari ebenso begabt und
von lebhaftem Gemüth, als er von Haus aus mit irdischen
Gütern nicht gesegnet war. In Folge eines Zerwürfnisses mit
seinen Verwandten und da er Arbeit suchte, siedelte er nach
Florenz über und übernahm anfangs alle Arbeiten, die ihm
unter die Hände kamen, sowohl weil ihn die Noth drängte als
auch weil er die Concurrenz anderer junger und tüchtiger Bild-
hauer zu bekämpfen hatte. (Unter diesen war wohl Jacopo di
Piero der bedeutendste.) Von den Jahren 1388 bis 1393 war
er noch blos als Steinmetz damit beschäftigt, einige Fenster-
einfassungen für den Dom, sowie sechs Wappenschilde für die
Loggia dei Signori herzustellen. Wenn er, wie zu vermuthen,
diese Arbeiten als Jüngling durchführte, so mochte er etwa
1.370 geboren sein. Von 1393 bis 1402 hat er schon eine Reihe
von Freistatuen für den Dom auszuführen. Hievon lassen sich
zwei Statuen an der Ostseite des Glockenthtlrnles von Giotto
mit Bestimmtheit als seine Arbeit nachweisen. Ein gewaltiger
Umschwung, der sich in der Sculptur zu vollziehen beginnt,
gibt sich an denselben kund. Lebhafte individuelle Empfindungen
und Bewegungen, grössere Freiheit in der Drapirung, sowie
ein Streben nach Naturwahrheit im Faltenwurf stehen hier in
vortheilhaftem Gegensatz zur passiven, falsch-classischen Ruhe
und monotonen Motivirung der meisten Gewand-Statuen vom
Ende des 14. Jahrhunderts, wie deren z. B. an der Südseite
des Campanile stehen. Besonders hervorzuheben als eine wich-
tige Neuerung, die er in der Drapirung der Statuen ein-