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TRACTAT
DES M.
FRANCESCO
BOCCHI etc.
Macht das Auge befriedigt. Viele waren die von vielen Meistern
gemachten Vorschläge, als es sich darum handelte, die Kuppel
unseres Domes zu errichten und zu wölben; doch war dabei
nur einer der leitende, echte, einfache und natürliche Grund-
gedanke, nur einer der Zweck: dass nämlich das Ganze stark
im Gehalte, anmuthig in der Erscheinung, schön in allen seinen
Bestandtheilen an und für sich, den Menschen, die es zu be-
herbergen haben würde, entsprechend und zur Abhaltung des
Gottesdienstes geeignet sein sollte. Und in WVahrheit vermögen
heute selbst erfahrene Künstler nicht zu entscheiden, ob Schön-
heit oder Kraft an diesem übcrherrlichem Baue überwiege, der
bei sich diese beiden Eigenschaften im Wetteifer vereinigt, so
aber, dass sie dennoch zusammen harmoniren und somit Staunen
und Bewunderung erregen. Von dieser Art ist auch der heilige
Georg; einfach in seiner Erscheinung, geeinigt in seiner Schön-
heit, ganz Leben, ganz Anmuth, ganz Schönheit, scheint er
jeden Augenblick zu einer kühnen That schreiten zu wollen.
Sei man überzeugt, dass die schweren Waffen, die er an sich
trägt, und die unbändige Tartsche die Statue gewiss aller Gra-
zie berauben würden,wenn sie nicht an und für sich mit der aller-
grössten Schönheit und Lebendigkeit begabt wäre, so dass sie,
durch Wahrheit und Beweglichkeit den Marmor durchgeistigend,
fast erwarten lässt, dass sie, gleich dem Lebenden, spreche und
handle. Sie vereinigt in sich selbst ihren eigenen Werth, und
Alles, was gemein und hässlich ist, steht ihr ferne. Glauben wir
ja nicht, dass andere Werke auf diesem nämlichen Felde, da
sie noch unbeendet und unvollendet sind, darum auf höheres
Lob, auf höheren Ruf Anspruch haben, weil dabei der erst
auszuführende Gedanke eine vollständigere Schönheit noch er-
warten lassen kann; denn es könnte da auch im Gegentheile
geschehen, dass solche Werke, einmal zu Ende geführt, das
gerade Entgegengesetzte zum Vorscheine brachten. Gegenüber
der Aeneis des Virgil, der Venus des Apelles und einigen
Statuen des Michelangelo Buonarroti, die ebenfalls mangelhaft
hätten schliesslich ausfallen können, bewies man sogleich durch
entgegenkommendes Lob, dass man mehr Schönheit als Häss-
lichkeit erwartete. Beim heiligen Georg aber hat man eine
solche nicht mehr zu erwarten, denn sie ist bereits sichtbar