TRACTAT DES M.
FRANCESCO BOCCHI etc.
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dass, obwohl gerade hier der benützte Raum_ nur ein kleiner
ist, das Feld der sich kundgebenden hohen Gedanken dennoch
ein sehr weites und reiches ist. Sie ist also um so bewunde-
rungswürdiger, und um so schöner, je weniger sie der fremden
Hilfe und des äusseren Schmuckes bedurfte. Möge ja Niemand
glauben, das sei etwas Geringes oder leicht in die Wage
Fallendes; das ist umgekehrt etwas so Wichtiges, dass die
grössten und gewichtigsten Schriftsteller, sobald sie etwas als
sehr schön demonstriren wollten, gerade das als Stärkstes und
mächtigstes Argument hervorheben. Als daher Terentius solche
Vollendung vor unsere Augen führen wollte, gab er sich keines-
wegs damit ab, die einzelnen Theile der besprochenen Schön-
heit zu schildern, sondern ging ebenfalls vorn Abgange äusser-
licher Ausschmückungen aus, indem er sagte: "Schön war das
Mädchen, und das (sollte man es glauben!) umsomehr, als es
nichts an sich hatte, was seiner Schönheit hätte zu Hilfe kom-
men können; das Haar war aufgelöst, die Füsse bloss, sie selbst
voll Blässe und Thränen, das Kleid schmutzig; so, dass,
wenn die Macht des Reizes nicht in der natürlichen Schönheit
läge, sie von diesen Dingen vernichtet worden wäre." Ausser-
dem erzählt man sich von Alexander dem Grossen, dass er,
so oft er sich in einem Flusse badete, es liebte, sich von seinem
ganzen Heere nackt sehen zu lassen, damit dasselbe begreifen
möge, dass er, Dank dem vollkommenen Ebenmasse seines
Leibes, keines äusseren Schmuckes bedurfte. Jeder Künstler,
ja Jedermann bewundert Buonarroti, und zwar nicht allein
wegen des edlen, hohen Sinnes, der aus allen seinen Figuren
spricht, sondern auch weil er in diesem Punkte stets eine ganz
besondere Sorgfalt an den Tag legte.
Seine Statuen und Bilder sind ebenfalls nicht in Orna-
menten eingehüllt; keine frivole Beigabe, kein oberflächlicher
Reiz kommt da vor, wohl aber tüchtige Zeichnung, tiefes Ver-
ständniss und weise Absicht bei jeglichen] Vorgange, so dass
sie nicht nur das Gemüth ergreifen, sondern es auch kräftigen
und mit starkem Denken erfüllen. Schönheit ist nämlich mit
Kraft und starkem Wesen verwandt und verschwistert, so dass
wenn sie nach einfachen Principien vorgeht, auch ohne Aus-
schmückung und nur durch natürlichen Werth und eigene