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TRACTAT DES
FRANCESCO BOCCHI etc.
heit nennen kann. Nicht so bei den Frauen; diese sind von
der Natur mit einem so edlen Vorzuge nicht ausgestattet wor-
den. Daher duldet es auch unsere Sprache nicht, dass, so wie
man von einem Manne sagt! Jener ist ein schöner Greis, so
auch von einer Frau gesagt werde: Jene ist eine schöne Greisin.
Denn Schönheit ist etwas Actives, und das lässt sich an der
wirkenden Klugheit eines Greises vielfach erkennen; in keiner
Weise aber offenbar an einem durch hohes Alter müde,
schwach und gebrechlich gewordenen Weibe, welchem nur
Schweigsamkeit und Bescheidenheit zukommen.
I-Ielena, obwohl sie die Bezeichnung einer Schönheit er-
rungen hatte, war nicht ihr lebenlang schön; im Gegentheile,
so oft sie, alt geworden, sich im Spiegel besah, gab sie, wie
schon erzählt, sich selbst und den Anderen gegenüber ihrer
Verwunderung Ausdruck, dass so viele Völker, als solche an
dem trojanischen Kriege theilgenommen hatten, eine solche
Fülle von Beschwerden ihrer Schönheit wegen ertragen moch-
ten. Dem entgegen und obwohl der menschliche Körper mit
der Zeit Veränderungen erfährt, blieb Alcibiades so schön und
so ebenmassvoll gestaltet, dass ihn Während seines ganzen Lebens
und bei jedwedem Alter jene Schönheit, die hier gemeint ist,
nie verliess. Gross ist daher die Schwierigkeit, letzterer über-
haupt zu begegnen; noch grösser aber jene, welche den Künst-
lern entgegentritt, wenn sie eine solche bald mit Farben, bald
mittelst des Marmors nachbilden und dem Auge vorführen
wollen. Denn solche menschliche Schönheit wird über Alles
ragen, wird massvoll, harmonisch, voll Majestät und Erhaben-
heit sein müssen, wird, in allem ihrem Schmuck anmuthig,
ohne äusserliches Beiwerk sich eignen, durch anmuthige Wir-
kung und liebliche Pose den Zuschauer zu ergreifen und zu
fesseln. Obwohl nun Schönheit auf der ganzen Figur ausge-
breitet zu sein hat und kein einziger Theil derselben diese
Schönheit entbehren darf, so ist es dennoch vor Allem die
Stirne, wo sie mit der grössten Wirkung ausgedrückt erscheint.
Dies ist nicht ohne Grund; im Kopf nämlich sind alle fünf
Sinne vereinigt, und dadurch schon erscheint dieser Körper-
theil als der edelste und ausgezeichnetste, so dass also die
Ohren, die Augen, die Nase, und am Meisten die Wangen,