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TRACTAT DES M.
FRANCESCO BOCCHI etc.
schwierig; denn nur wenigen und auserkornen Talenten gelingt
es, die einzelnen Theile, welche zerstreut und confus vorliegen,
mit einander weise zu vereinigen. Um nun auf das, was wir
zu Anfang versprochen und was hier zum Gegenstande gehört,
zu kommen, so sei festgestellt, dass die Schönheit sich auf
dreierlei Arten und nach dreierlei Grundsätzen kundgibt. Zu-
erst spricht man von ihr, ohne sich in detaillirte Untersuchung
einzulassen, bei jenen Werken, welche von den Künstlern über-
haupt gut ausgeführt wurden, so dass man oft im Allgemeinen
ausruft: das ist eine schöne Schrift, das ist eine schöne Rede
das heisst: das ist ein mit viel Kunstfertigkeit ausgeführ-
tes Werk, wobei man eben nur auf den Grad der Kunstfertig-
keit, und nicht auf das, was durch dieselbe dargestellt wird,
schaut. . Dies gilt von jenen Versen, welche bei den Lateinern
über lascive und sinnliche Gegenstände verfasst wurden, und
welche, obwohl an und für sich gelungen und ausgezeichnet,
dennoch, nachdem ihr Vorwurf ein unreiner und unsittlicher
war, 0b des schmutzigen und widerwärtigen Gegenstandes, nur
von Wenigen gelesen und beachtet wurden.
S0 kommt es dann auch bei Statuen nicht darauf an,
dass die Originalfigur mehr oder weniger fremdartig und an
und für sich ohne Anmuth sei; man sieht da nur auf die
Kunstfertigkeit, und ist nur diese mit Geschick und Klugheit
vertreten, so wird das Ganze ohneweiters gelobt. Doch gibt es
auch eine Schönheit, welche im menschlichen Körperßelbst
ausgeprägt ist; wenn nämlich bei demselben jeder Theil im
Verhältniss zu den anderen und in der Zusammenstellung aller
ebenmässig entspricht, so dass daraus ein geordnetes Ganzes
entsteht, das in keinem seiner Theile unangemessen, formlos
oder hässlich erscheint. Eine solche Schönheit kommt aber
beim menschlichen Körper ebenso selten vor, als jene andere,
schon besprochene, der Kunstfertigkeit bei künstlerischen
Werken. Denn theils die Schwierigkeit, dass alle Theile voll-
kommen harmonisch einander ergänzen, theils die Sprödigkeit
der Natur, etwas ganz Vollendetes überhaupt zu bieten, sind
Ursache, dass wirkliche Vollkommenheit bei menschlichen und
irdischen Dingen so ungemein selten vorkommt. Zeugniss dafür
legt das ab, was der alte, anmuthige Maler Zeuxis, welcher