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TRACTAT
DES
FRANCESCO
BOCCHI etc.
ihm im Geiste vorschweben. Einem ebenfalls nur geringen
Widerstande begegnen auch jene Kunstzxrveige, welche ihren
Gegenstand natürlichen Dingen entnehmen und nicht vieler
Hilfsmittel bedürfen, um sich zur Vollkommenheit zu erheben;
hiezu gehört die Kunst der Comödianten. Ihr Princip sowohl
als ihre Mittel entstammen demselben Objecte, nämlich dem
menschlichen Körper, und dieses Princip und diese Mittel fügen
sich stets dem Willen des Künstlers, welcher, wenn er verstän-
dig und tüchtig ist, ein Ganzes von der in Rede stehenden
Vollkommenheit daraus schaffen kann. . Was aber den beson-
deren Zweck dieser Kunstzweige betrifft, dessen Erreichung
eben keine ausserordentliche Leistung ist, so pHegt das Zurück-
bleiben von demselben nicht, wie dies bei der militärischen und
bei der oratorischen Kunst geschieht, vom härtesten Tadel ver-
schont zu bleiben. Wer aber auch sollte in der Sculpttlr die
Kunst derart behandeln, dass er bei dem Bestreben, aus einem
Stück Marmor eine Herkules-Figur zu gestalten, soweit sich
verirrte, dabei eine ganz andere Figur hervorzubringen? Als
ähnliche Verirrungen müssen wir die Arbeiten jener Künstler
bezeichnen, welche aus Mangel an Verständniss, und noch mehr
an Erfahrung, ihre Werke roh, geschmacklos und voller Häss-
lichkeit gestalten, wie dies z. B. in den ersten Jahrhunderten
der Fall war, wo die Künste eben ihre Entwicklung begannen.
Damals waren die Künstler nämlich noch so wenig eingeschult,
noch so ungebildet, dass man das, was sie hervorbrachten,
nicht erkennen, noch erfassen konnte, und es vielmehr noth-
wendig war, bei den von ihnen ausgeführten Werken die be-
treffende Bezeichnung des Gegenstandes selbst anzubringen,
und zwar so: das ist ein Pferd, das ist ein Baum. Sie fühlten
wohl, dass die dargestellten Sachen von Jenen, welche aus der
Zusammenwirkung der einzelnen Theile eines Kunstwerkes zu
urtheilen pflegen, nicht erkannt werden konnten. Soll aber von
Jenen die Rede sein, welche sich im künstlerischen Schaffen
der höheren Schönheit bedeutend näherten, so darf gesagt wer-
den, dass das Alterthum und auch die neue Zeit viele solcher
Künstler aufzuweisen hat; doch nur Wenige gab es darunter,
die sie ganz und gar erfasst und in sich aufgenommen hatten,
und die, als Wahre Besitzer derselben, sie auch in ihre Werke