TRACTAT
DES M.
F RANCESCO
BOCCHI etc.
213
Unter den Kunstgattungen, welche der Mensch im Leben aus-
übt und pflegt, gibt es einige, die ihr bestimmtes Ziel schon
in der eigenen Entwicklung gesichert haben; einige wieder, bei
welchen dieses Ziel, da es grösstentheils vom Vermögen An-
derer abhängt, nur mit grosser Mühe und Arbeit erreicht wer-
den kann. Da nun dieses höhere Ziel mehr Adel und Schön-
heit bezweckt, als der Gegenstand selbst bietet, so muss die
Kunst ihre ganze Kraft und Sorgfalt einsetzen, um es zu er-
reichen. Da haben wohl unter allen jene Kunstzweige am kräf-
tigsten zu kämpfen, welche ihr Ziel durch Mittel und Gegen-
stände zu erreichen suchen, die meistens dagegen widerstreben;
dahin gehört die Kriegskunst und die Redekunst, wo, wenn
auch das angestrebte Ziel der Action versagt, diese, wenn sie
nur eine ehrenvolle ist, dennoch wegen der angewandten Mühe
und beobachteten Pflichterfüllung dennoch zu loben ist.
Doch die Mittel dieser Art von Kunstgattungen sind, wie ich eben
glaube, solche, Welche durch die Schwierigkeiten der Ausfüh-
rung die vollendete Vollkommenheit verhindern. Diese Schwie-
rigkeiten treten ausserdem in so grosser Zahl auf, dass man sie
einzeln weder abschwächen, noch derart bewältigen kann,
dass sie nach unserem Willen Wirken; daher kommt es, dass der
Handelnde die Vollkommenheit seiner Handlung nicht so in
Eins bringen kann, nachdem solche nur aus Verschiedenem
harmonisch zu entstehen vermag. Nicht dasselbe gilt von der
Architektur und von der Sculptur, welche nicht blos ein be-
stimmtes Ziel verfolgen, sondern auch Gegenstände und Mittel
zur Erreichung desselben verfügbar haben, die nicht schwierig,
im Gegentheile immer geeignet sind, die Formen anzunehmen
und zu erzeugen, die vom verständigen Künstler bezweckt wer-
den. Das aber ist eben jener Zweck der Kunst, dessen Ver-
wirklichung für den Künstler weder schwierig noch mühevoll
ist; jener Zweck aber, der das Allgemeine berührt, der das
NVesen der Sache selbst betrifft, jener Zweck ist in seiner Er-
reichung allerdings über Alles schwer und mühsam, aber auch
über Alles vom Künstler ersehnt. . . . . Der Marmor also (um hier
den früheren Faden wieder anzuknüpfen) widerstrebt durchaus
nicht, noch beschwert er den Bildhauer in dem Grade, dass er
nicht zu jenem Ziele, zu jener Vollendung gelangen könne, die