TRACTAT DES M.
FRANCESCO BOCCHI etc.
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erfolgt, während das Fehlen sich vielartig, ja in zahllosen
Weisen manifestirt, da es ungemein leicht ist anzustossen und,
aus Mangel an innerer Kraft, zu fallen; so gilfes auch von der
Schönheit, dass sie (welche eine gewisse vollkommene Hoheit
vorstellt und in sich selbst möglichst geschlossen und geeinigt
ist, während die Hässlichkeit aus vielen unter einander ver-
schiedenartigen Theilen besteht) nicht zu jeder Zeit, sondern
nur mitunter in dem einen oder dem andern Jahrhundert vor-
kommt; die Hässlichkeit hingegen (da, wie gesagt, das Irren
leicht geschieht) tritt uns oft und zu jeder Zeit entgegen,
Was Anderes könnte die Ursache sein, dass es nicht oft, son-
dern im Gegentheile nur selten Künstlern und Schriftstellern
gelingt, vollkommen Schönes zu bieten, als' eben die grosse
Schwierigkeit, alle ihre Bestandtheile harmonisch in Eins zu
vereinigen und zu verbinden? Alle diese Bestandtheile können,
selbst wenn der Künstler jede einzelne von ihnen genau kennt,
ihm nicht vollständig nützen, sobald sie nicht vereinigt zur
Schalfung eines einzigen Ganzen, der Schönheit eben, zusammen-
wirken, die in keinem Theile ungleich oder verschiedenartig
sein darf. Dafür legt die Natur ein Zeugniss ab; denn das
Wenige an Schönheit, das wir mitunter, jener Vereinigung aller
Theile entbehrend, an menschlichen Körpern vorfinden, wird
von der gemessenen und geizigen Natur dem Menschen nicht
für das ganze Leben, sondern nur für eine kurze Frist des-
selben verliehen. Daher schreibt der Dichter, von dieser flüch-
tigen Schönheit sprechend, mit Recht:
Von Der und Jener pflegt man oft zu sagen,
Dass schön sie einmal war in besseren Tagen.
So erzählt man auch von Helena, dass sie, alt geworden
und wohl wissend, wie viel Kampfesschweiss und Mühe ihre
Schönheit dem gesammten Griechenland gekostet hatte, oft und
viel, wenn sie sich nun ganz voller Furchen und mit gerun-
zelter Haut im Spiegel besah, über Diejenigen lachte, die für
ein so kurzes und hinfälliges Gut so viel Beschwerden, so viel
Leiden ertragen hatten. Aus gleicher Ursache sagt Petrarca,
der viel Schmerz und Angst wegen der Liebe für Laura's
Schönheit ertrug,.dass wenn diese, welche Ursache an seinem
Leiden ist, schwinden wird, so werde auch der Lebensschmerz
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