TRACTAT DES M.
FRANCESCO BOCCHI etc.
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Bewegung vermitteln, wie nicht minder alles Dasjenige, was in
das Gebiet der Leibes-Anatomie gehört, richtig zum Vorschein
zu bringen. Und auch hierin ragte Buonarroti hervor, und ist
in die Geheimnisse dieses Kunstmomentes mit so tiefem Ver-
ständnisse gedrungen, dass er hiefür von allen Künstlern an-
gestaunt ward. Solches Studium, solches ernste Forschen waren
es eben, welche diesem Manne durch die widerwärtige Aus-
dünstung der anatomisirten Cadaver für lange Zeit ein Brust-
leiden zuzogen, bis er endlich, praktischer und sicherer in der
Handhabung der Sache geworden, Werke schuf, welche von
seiner Geisteskraft und seinem Wissen Zeugniss geben und von
Jedem hochgepriesen werden. Grosses Lob errang auf dem-
selben Gebiete auch Baccio Bandinelli, welcher in diesem
Studium es so weit brachte, dass er, was Zeichnung betrifft,
über Alle gepriesen wird. Wie Grosses er bezüglich der Leben-
digkeit zu leisten vermochte und wie sehr ihm die Kunstfertig-
keit eigen war, welche aus der anatomischen Wissenschaft ge-
schöpft, beweisen nebst vielen anderen Werken die von ihm
herrührenden zwei Giganten, welche man auf dem Dogen-
Platze sieht; nachdem er, der im Leben durch seine rohen und
harten Sitten bei Allen wenig beliebt war, nun gestorben, nimmt
das Lob und die Bewunderung für ihn in dem Masse zu, als
dessen_ Arbeiten nach seinem Tode mit weniger Leidenschaft-
lichkeit gesehen und geprüft werden. Dass auch Donatello muss
viel Verständniss vom Bau des menschlichen Körpers besessen
haben, geht deutlich aus seinen Statuen hervor; aus jenen,
meine ich, wo Nuditäten vorkommen, welche mit hohem und
feinem Kunstsinne ausgeführt sind; aber selbst an seinen mit
Gewandung versehenen Statuen merkt man, wie sehr er in
diese Kenntniss eingeweiht ilvar, da auch diese bald hier, bald
dort Anregung und Ueberraschtlng verursachen. Nachdem es
nun nicht genau feststeht, dass die Alten auf dieses Studium
grosse Sorgfalt gelegt hätten, da sie von jener Kunstfertigkeit,
Welche sich allein auf die Anatomie stützt, nicht sonderlich ge-
tragen waren, so geben sie uns damit ein Recht, dass man
Vieles zum Vorzuge unserer heutigen Künstler sage, und dar-
auf bestehe, dass diese, mehr als jene, einen begründeten An-
spruch auf höhere Ehrenbezeigungen haben. Dabei überragt