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TRACTAT DES M.
etc.
FRANCESCO BOCCHI
auch unter keiner Bedingung geizen in der Anpreisung unserer
eigenen Künstler, bei welchen sich die Hoheit der Begabung
mittelst bewunderungswürdiger Schöpfungen derart gross und
hervorragend verkündet, dass man in keiner Weise glauben
darf, Letztere seien durch irgend Etwas von geringerem Werthe
als die Alten. Dies gilt zunächst von Donatello und von allen
seinen Statuen , besonders aber von jener des lueiligen Georg,
Welche durch die Kraft des Ausdruckes, durch die Macht der
Lebendigkeit und der Wirkung sich als über Alles bedeutend
manifestirt. Ich glaube kaum, dass die Dichter durch die Fabel
des Pygmalion und durch die Verherrlichung der Statue des-
selben etwas Anderes andeuten wollten, als dass derselbe zu-
fällig ein grosser Meister im Ausdrucke der Lebendigkeit war,
und dass der Umstand, dass er diese Eigenschaft ganz beson-
ders gerade bei dem einen Werke verwendet hatte, Anlass zu
der Mythe gab, dass die Götter dieser Statue Geist und Leben
verliehen. Beim heiligen Georg braucht man aber dies nicht zu
fingireu, denn bei ihm ist nicht nur Lebendigkeit, sondern
ausserdem auch jene Art der Wirkung vorhanden, welche, Träg-
heit und Verkehrtheit bekämpfend, mit besonderer Macht auf
Tüchtigkeit hinweist. Donatello war es auch, in Betreff dessen
durch längere Zeit zwischen zahlreichen Künstlern und Lite-
raten der Streit obwaltete, ob die neueren Werke, was Kunst-
fertigkeit betrifft, den Werken der Alten gleichkommen; wenn
nicht, ob selbe diesen vorangehen oder xiachstehen. Es scheint,
dass Alle schliesslich darin übereinstimnlten: es lasse sich das
bis zur heutigen Stunde nicht klar feststellen. Denn sowohl
Donatello als Buonarroti sind ob des erreichten hohen Grades
von Kunstfertigkeit in einer Weise bewunderungswürdig ge-
worden, dass man über das Mass des den Alten gebührenden
Ruhmes zu zweifeln begann und jetzt noch nicht bestimmt an-
zugeben weiss, wem die Krone des Verdienstes mit Recht zu-
komme. Jedenfalls sind bei unseren Künstlern die Momente
grosser Tüchtigkeit wahrzunehmen, so dass man anerkennen
muss: sie haben sich ihre vielen Lorbeern wohl verdient; es
ist beispielsweise in der Sculptur ebenso bedeutungsvoll als
verdienstvoll, wenn es der Kunst gelingt, Knochen, Nerven,
Muskeln, kurz jene einzelnen Dinge, welche die menschliche